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Strolz: Wir haben uns von der Euphorie tragen lassen

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Mathias Strolz nennt Bildungspolitik seine Herzensangelegenheit und gründet mit den NEOS eine neue Parlamentskraft in Österreich. Nach einem Jahr der Euphorie kommt die erste Ernüchterung bei Landtagswahlen und auf europäischer Ebene. Bei uns spricht der Parteichef offen über Fehler, persönliche Beleidigungen und darüber, warum die Menschen nach einfachen statt zielführenden Lösungen suchen.

Wovor haben Sie am meisten Angst?
Das werde ich öffentlich nicht sagen, das halte ich nicht für gescheit.

Aber es gibt Dinge, die einen beunruhigen?
Ja, die gibt es, aber die sind sehr persönlich.

Hirschkäfer, Bäume besingen, erheiterter Zustand: Wie geht ein Politiker mit persönlichen Beleidigungen um?
Hmm, ich übe noch. Da gibt es ja auch ganz unterschiedliche Phänomene: Die Künstlergruppe Maschek finde ich beispielsweise lustig, ich denke das ZIB2-Interview mit Armin Wolf ist mehr als 260.000 Mal angesehen worden. Das ist handwerklich eindrucksvoll und da bemüht sich jemand kreativ zu sein. Die Abteilung, die versucht persönlich verletzend und ehrabschneidend zu agieren, diese stecke ich nicht so leicht weg. Ich habe viel erlebt im vergangenen Jahr und bin dankbar für die Erfahrungen. Aber natürlich war die Kränkung phasenweise sehr groß und der Umgang damit nicht immer einfach.

Gibt es einen Ort, der hilft darüber hinwegzukommen?
Ja, natürlich. Hätte ich die Gegenwelt der Familie nicht und würde ich nicht regelmäßig Sport betreiben, dann könnte ich das nicht machen. Diese Gegenwelten brauche ich ganz dringend und die Kinder sind dazu besonders gut geeignet, weil sie so kompromisslos sind. Du kommst zur Familie und dann bist du da, das ist auch nicht verhandelbar. Ja, das ist gemeinsam mit dem Sport und der Natur sehr wichtig für mich. Das hilft alles gegen die Kränkungen, aber letztlich musst du es mit dir selbst ausmachen. Weil das in mir stattfindet und das bedeutet für mich eine neue Etappe in meiner Persönlichkeitsentwicklung.

Gibt es etwas, woran neben Ihnen nur sehr wenige Menschen felsenfest glauben?
Ich glaube nicht, dass ich hier so einzigartig bin. Ich glaube allerdings, dass ich einer der ganz wenigen in der Politik bin, der über den eigenen Glauben redet. So wie es früher verpönt war über Krankheiten zu sprechen, so ist es heute eher verpönt, Auskunft über seinen spirituellen Zugang zur Politik zu geben. Das wird ganz schnell lächerlich gemacht und ins esoterische Eck gestellt. Ich habe für mich entschieden, dass ich hier vorsichtiger werden will. Aber ich werde es nicht aufgeben, weil es ein wichtiger Teil von mir ist. Ein Beispiel: Aus persönlichen Gesprächen weiß ich, dass auch andere Spitzenpolitiker fasten waren. Auch mehrmals am selben Ort wie ich. Aber sie reden nicht darüber und das ist in Ordnung. Jeder und jede nach seiner oder ihrer Vorstellung. Ich persönlich halte es für richtig und wichtig über Dinge, die mich als Politiker ausmachen, zumindest punktuell zu sprechen. Und wenn ich gefragt werde, gebe ich eine Antwort.

Bild: Christoph Hopf
Bild: Christoph Hopf

Apropos Religion, warum zucken Sie beim Anblick bärtiger Männer?
Es geht um Authentizität und für mich war es wichtig zum Ausdruck zu bringen, dass ich in den Tagen nach den schrecklichen Anschlägen von Paris tatsächlich anders mit der U-Bahn gefahren bin. Ich glaube es ist wichtig das auch anzusprechen, weil ich überzeugt bin, dass 90% der Bevölkerung ebenfalls so empfindet. Es gibt sicherlich die zehn Prozent, an denen geht so ein Anschlag wie in Paris spurlos vorbei. Aber da frage ich mich auch, was die dann überhaupt spüren. So ein Gefühl der Beklemmung muss zugelassen werden. Aber nur weil mich ein Gefühl von Angst überkommt, heißt das nicht, dass die Angst mich lenkt. Es wäre gleichzeitig falsch diese Gefühle zu leugnen. Genau so sind wir in Österreich mit der Integrationspolitik in den vergangenen Jahrzehnten umgegangen. Ignoranz, Empfindungen nicht einmal wahrnehmen. Da will  ich andere Wege gehen. Das ist natürlich auch eine Offenbarung, die mich angreifbar macht. Aber letztlich möchte ich die Menschen mitnehmen auf den Weg, der eine Lösung sein kann. Das Miteinander soll vor das Gegeneinander gestellt werden, das Gemeinsame vor das Trennende, das Positive vor das Negative. Emotionalität muss ich aber schon zulassen.

War es rückblickend ein Fehler, den bekennenden Atheisten Niko Alm zum NEOS-Religionssprecher zu ernennen?
Die Übergabe an mich war Teil einer Neuverteilung verschiedener Themengebiete, auch wenn das die Medien verständlicherweise anders interpretieren. Ich habe schon einmal erklärt, dass es damals nach unserem Parlamentseinzug sehr schnell gehen musste. 40-50 Bereiche waren mit Experten und Expertinnen zu besetzen, wir waren aber nur zu neunt. Ein wichtiges Kriterium war die jeweilige persönliche Sachkompetenz in dem jeweiligen Feld. Zweifelsohne hat Niko Alm in Sachen Religion ein extrem hohes Know-How und viele Diskussionen, die er geführt hat, haben mich beeindruckt. Und er war niemals polemisch dabei und dafür schätze ich ihn sehr. Über die Zeit vor den NEOS und seine Agitation, darüber lässt sich streiten. Ich sehe natürlich seine persönlichen Ansichten, aber das deckt sich nicht mit unserem Parteiprogramm. So wie sich mein persönlicher Glaube nicht aus dem Parteiprogramm speist. Im NEOS-Programm steht nun einmal nicht „Wir sind Katholen“, genauso wenig ist angeführt, dass wir Nudelsieb-Anhänger sind.

Kommen wir zur Wirtschaft: Der Universalhistoriker Yuval Harari sagte jüngst, dass die Wirtschaft in Zukunft den Menschen nicht mehr brauche. Wie sieht das eine Partei, die sich zum Neoliberalismus bekennt?
Eines vorweg: Wir sind nicht im neoliberalen Spektrum verankert, so wie der Neoliberalismus heute verstanden wird. Betrachten wir den Begriff historisch, dann war er in den 1950er-Jahren ein Synonym für soziale Marktwirtschaft. Und dazu stehen wir, denn wir wollen eine neue ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Wir sind eine Bürgerbewegung mit einer liberalen Grundhaltung. Das was viele Menschen unter Neoliberalismus verstehen, das verurteilte ich auf das Schärfste. Den ignoranten, egozentrischen, profitsuchenden, über Leichen gehenden Kapitalisten, den weisen wir zurück. Die Wirtschaft ist für die Menschen da und nicht umgekehrt, sie hat dem Menschen zu dienen. Diese Fantasie, dass wir durch die Industrialisierung die 38-Stunden-Woche abschaffen, das hat sich nicht bewahrheitet. Und auch Hararis Prophezeiungen werden so nicht eintreffen. Es werden immer neue Felder aufgehen, die Menschen beschäftigen.

Thema Griechenland: Glauben Sie an ein Aufkommen einer neuen linken Wirtschaftspolitik oder geht es hier mehr um Populismus?
Ich denke, es ist offen, in welche Richtung sich Griechenland bewegt. Letztlich ist es aber eine Links-Rechts-Koalition, auch wenn das rechte Anhängsel vorerst ruhig gestellt ist. Ich glaube nicht, dass es eine ideologische Auseinandersetzung ist. Wenn Tsipras seine Füße nicht auf den Boden bringt, dann gewinnen das nächste Mal eventuell die griechischen Rechtsradikalen. Im Moment ist es verständlicherweise geleitet von der großen Sehnsucht nach einfachen Antworten. Das beschäftigt uns in der Islam- und Integrationsdebatte genauso wie in der wirtschaftspolitischen Debatte. Die Menschen sehnen sich nach einfachen Antworten in einer Welt, die volatil, unsicher, komplex und ambivalent ist. Wir wollen hier einen positiven Beitrag leisten, aber wir machen bei diesen plakativen, einfachen Antworten nicht mit.

Zurück nach Österreich: Der Staat bezahlt jährlich mehr als 375 Millionen für Alkoholkranke. Glauben Sie nicht, dass diese Ausgaben bei einer möglichen Cannabis-Legalisierung vollends explodieren?
Nein, das glaube ich nicht. Wir zielen darauf ab, den Missbrauch von Cannabis zurückzudrängen. Zugleich wird es niemals eine drogenfreie Gesellschaft geben. Und der Status Quo ist ein unglaublich verlogener. Wir haben 18.000 Tote jährlich durch Alkohol und ein unendliches Leid in den Familien. Wir haben 14.000 Tote durch Nikotin, aber wir haben kausal durch Cannabis keine Toten. Aber natürlich ist das auch eine potentiell gefährliche Droge, ich will das auch nicht verharmlosen. Wenn wir aber heute runde eine halbe Million Menschen haben, die punktuell Cannabis konsumieren und wenn wir damit eine halbe Million Menschen haben, die punktuell Kontakt mit kriminellen Kanälen haben und kriminelle Taten begehen, dann muss sich eine Gesellschaft Gedanken machen, ob sie den richtigen Umgang damit pflegt. Wir haben kein Patentrezept, aber wir haben einen Diskussionsbeitrag bei einem sehr ernsten Thema geleistet. Ich sage aber auch, dass wir uns zu wenig auf unseren Diskussionsbeitrag vorbereitet haben. Unsere Position aber nur lächerlich zu machen, das halte ich für ignorant oder völlig zynisch.

Es ging Ihnen also mehr um einen Denkanstoß?
Absolut, weil die Auseinandersetzung der Gesellschaft mit der Welt der Drogen und der Frage, wie sie damit umgehen kann, ein ernsthaftes Anliegen von uns ist.

Bild: Christoph Hopf
Bild: Christoph Hopf

War das Abschneiden bei den jüngsten Wahlen in Vorarlberg und Niederösterreich eine Enttäuschung?
Ich glaube der Hype war einfach vorbei, unsere Mitbewerber haben sich gut auf uns eingestellt und Programme gegen uns gefunden. Wir sind in vielem noch nicht gut genug und können der Fremddefinition durch andere Parteien zu wenig kommunikative Kraft entgegensetzen. Da bessern wir uns jeden Tag, aber das ist eine langfristige Aufgabe. Und natürlich hat das auch etwas mit einem Medienzyklus zu tun. Es ist ähnlich wie bei Wachstumsschmerzen. Wenn sie kommen, bringen einem die Vorbereitungen darauf nicht wirklich etwas. Das haben wir erlebt und da müssen wir jetzt durch. Wir haben uns in Zeiten der Euphorie in lichte Höhen tragen lassen und in der Phase, in der es nach unten ging, nahmen wir teils eine depressive Rolle an. Jetzt sind wir aber stabil und 2015 ist das Jahr, in dem wir ankommen. NEOS soll die Gründergeneration überleben und langfristig und über Jahrzehnte an einer Erneuerung Österreichs arbeiten.

Wenn sich bei den kommenden Wahlen Koalitionsmöglichkeiten ergeben, bleiben Sie beim Nein zur FPÖ?
Wir würden mit allen Parteien außer den Freiheitlichen eine Koalition eingehen, mit der FPÖ hingegen nur eine thematische Zusammenarbeit. Für eine Koalition sind unsere Gemeinsamkeiten nicht tragfähig. Wir sind für Europa und für ein Miteinander und haben eine völlig andere Sicht in der Ausländer- und Integrationsfrage. Das sind zwei zentrale Politikfelder und wenn du hier unterschiedliche Ansichten hast, dann solltest du dich nicht in eine Koalition begeben.

Wenn die NEOS jemals eine absolute Mehrheit erlangen, was wäre das erste Gesetz, dass Ihre Partei verabschiedet?
Wir denken stark prozessorientiert, also würden wir eher einen Prozess anstoßen. Und das wäre eindeutig die Einberufung eines nationalen Bildungsdialogs mit dem klaren Ziel, innerhalb eines Jahres gemeinsam eine umfassende Bildungswende einzuleiten. Die Schülerin und der Schüler sollen mit ihren Talenten und Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen.

Gibt es hier ein Vorbild?
Es gibt gelungene Reformprozesse in anderen Ländern, Bildung wächst organisch. Daher sind auch die letzten 100 Jahre genauestens zu analysieren und wir schauen uns die Prozesse, wie etwa in den Niederlanden und Dänemark, genau an. Gerade auch die Fehlersuche, wie etwa in Schweden, ist für uns wichtig. Ein einfaches Copy/Paste wird aber nicht möglich sein, das muss allen klar sein. Die Bildung bleibt eine Herzensangelegenheit für mich, solange ich Politik mache.

Abschließend: Wer ist Ihr politisches Vorbild? Aber bitte nicht Bruno Kreisky…
Hach, schade (lacht). Ich habe kein singuläres Vorbild, ich habe Leute die mich inspirieren. Ich habe viel mit Erhard Busek beim Europäischen Forum Alpbach zusammengearbeitet und bewundere sein Engagement für Südosteuropa, seinen Intellekt und seine große Landkarte. Mich inspiriert auch der unternehmerische Zugang eines Christoph Chorherrs und mein Urururgroßvater Franz Michael Felder war selbst Parteigründer. Auch wenn er für mich bislang nicht sehr präsent war, hat er mittlerweile eine große Präsenz in meinem Leben.

Danke für das Gespräch.

Edition F: Selbstständigkeit ist wie ein Sprung ins kalte Wasser

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Nora-Vanessa Wohlert und Susann Hoffmann wagen den Schritt, von dem viele nur zu träumen wagen: Die beiden Frauen lukrieren mithilfe von Crowdinvesting mehr als 200.000 Euro für ihre digitale Businessfrauen-Plattform Edition F. Der Leserinnenansturm ist gewaltig, renommierte Auszeichnungen wie der silberne Lead Award folgen. Bei uns sprechen sie über die Motivation zur Gründung, die Herausforderung eines gesunden Traffic-Wachstums und die notwendige Offenheit für Veränderungen.

Wie genau entstand die Idee zu Edition F?
Susann Hoffmann: Nora und ich gehören als Gründerinnen selbst zur Zielgruppe von Edition F. Für Frauen wie uns gab es keine richtige Anlaufstelle im Netz. Wir wollen Frauen, die sich beruflich verwirklichen wollen, ein digitales Zuhause bieten. Eine Plattform fernab der stereotypen Themen Mode und Beauty. Wir schaffen ein Gegenangebot zu den Wirtschaftstiteln, die sich häufig ausschließlich auf Männer fokussieren.

Nora-Vanessa Wohlert: Wir bilden sowohl die Business- als auch die Business-Lifestyle-Welt mit einem integrierten Angebot ab: inspirierende und meinungsstarke Inhalte, Networking-Angebote, Stellenausschreibungen und alles, was das Berufsleben von Frauen schöner macht. Damit wollen wir zur täglichen Inspirationsquelle werden und Frauen unterstützen, ihren Weg zu gehen – im Job und im Leben.

Woher nahmen Sie den Mut für die Selbstständigkeit?
Hoffmann: Zur Selbstständigkeit gehört immer der Sprung ins kalte Wasser. Dieser Mut ist leichter aufzubringen, wenn jemand von seiner oder ihrer Sache überzeugt ist, bereits erste Erfahrungen sammelte und er oder sie sich auf den Mitgründer oder die Mitgründerin verlassen kann. Irgendwann spürt man, ob sich das Risiko für eine Idee lohnt.

Wohlert: Es war einfach der richtige Moment, das richtige Thema und die richtige Mitgründerin. Um sich nicht verrückt zu machen, sollte man sich vor Augen halten, dass man im Notfall wieder in eine Festanstellung zurückgehen kann.

Wann haben Sie sich als Gründerin zum ersten Mal so richtig gefreut?
Hoffmann: Der Schritt zur Gründung war schon sehr einschneidend – ein neues Abenteuer, ein Wagnis. Deshalb war der erste Tag im Home Office im September 2013 eine große Freude. Die nächsten Meilensteine waren die erste Finanzierungsrunde im März 2013, der offizielle Launch im Juli 2014 und die Resonanz auf unsere noch aktive Crowdinvesting Kampagne.

Wohlert: Zusätzlich haben wir uns sehr über den silbernen Lead Award in der Kategorie Online Independent gefreut, und immer wieder, wenn wir Mails von Nutzerinnen bekommen.

Webauftritt von Edition F
Webauftritt von Edition F

Was waren die ersten Rückschläge?
Hoffmann: Alles dauert länger, als man sich das wünscht. Das bereitet einem manchmal Kopfzerbrechen.

Welche Marketingmaßnahmen setzten Sie ein, um ihre ersten Leserinnen anzusprechen?
Wohlert: Wir haben bisher kein Geld in Online-Marketing investiert, sondern sind organisch gewachsen. Unser Traffic kommt insbesondere aus sozialen Netzwerken, weil Menschen dort unsere Inhalte teilen. Facebook ist sehr relevant für uns, aber auch Twitter, Instagram und Karriere-Netzwerke wie Xing und Linkedin.

Hoffmann: Die Nutzerin steht im Mittelpunkt unseres Interesses, deshalb ist es für uns am wichtigsten genau sie ständig im Blick zu behalten. Wir müssen erkennen, welche Themen und Features die Leserinnen wirklich wollen und welche Bedürfnisse auch neue Geschäftszweige eröffnen.

Die Gretchenfrage: Umsätze generieren oder Wachstum?
Hoffmann: Das ist für jedes Startup anders. Wir haben uns dafür entschieden, sowohl gesund zu wachsen, als auch zu zeigen, dass unser Geschäftsmodell funktioniert. Wir glauben insgesamt nicht mehr so stark an die Idee, dass Reichweite allein zählt. Viel wichtiger sind zielgruppenspezifische Angebote, die die Nutzerinnenbedürfnisse ernst nehmen und ein Produkt anbieten, für das diese Zielgruppe auch bereit ist zu zahlen.

Gibt es etwas an das neben Ihnen nur sehr wenige Menschen felsenfest glauben?
Wohlert: Manchmal gibt es eine Art Abgesang auf den Journalismus. Wir glauben sehr stark an Content-Modelle und auch daran, dass mit guten Inhalten viel Geld verdient werden kann.

Drei Tools, die Sie jungen Gründerinnen und Gründern auf den Weg geben…
Wohlert: Weniger konkrete Tools, aber sehr wichtig sind regelmäßige Teammeetings und Jour fixes. Gründerinnen und Gründer sollten sich Zeit nehmen, um an der Vision und Strategie zu arbeiten, um nicht im Tagesgeschäft unterzugehen. Lasst euch nicht entmutigen und seid immer offen für Veränderungen am Geschäftsmodell.

Welche Schlagzeile möchten Sie über sich im Jahre 2020 lesen?
Wohlert: “EDITION F vernetzt Millionen von Frauen“

Abschließend, bei wem würden Sie gerne einmal nachhaken?
Wohlert: Sophia Amoruso, die Gründerin des Shops NastyGal. Sie hat es geschafft, eine vertrauensvolle Marke zu schaffen, mit der sie zugleich Nutzerinnen sowie Investoren glücklich macht.

Danke für das Gespräch.

Esposito: „Es herrscht Chaos auf allen Seiten“

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John Esposito ist kein Mann, der klare Worte scheut, wenn es um brisante politische Themen geht. Der 1940 in Brooklyn, New York City geborene Professor für internationale Angelegenheiten an der Georgetown University gilt als ausgewiesener Experte für Nahost-Politik und Islamische Studien. Im Interview spricht er über den Arabischen Frühling, die Wege aus der Krise und die Zukunft islamistischer Parteien.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage drei Jahre nach dem Arabischen Frühling ein?
Die potenzielle Gefahr des totalen Chaos besteht. Kurzfristig zeichnet sich eine gewisse Entspannung ab. Das wahre Problem liegt in der engen Verflechtung der Führungseliten sowie der westlichen Mächte mit den regionalen Militärs. Fragwürdige Regierungsgeschäfte und eine tiefgreifende Korruption sind weiterhin an der Tagesordnung.

Im Gegensatz zu Tunesien beherrscht die ägyptische Armee bis zu 40% der dortigen Wirtschaft. Diese Regierungen fühlen sich stark und mächtig, ernennen Richter und lenken die Medien. Dazu kommen westliche Mächte, die mit einem gewissen Doppelstandard diesen Zustand festigen. In der zweiten Amtsperiode von George W. Bush war der mediale Druck so hoch, dass es eine offizielle Bestätigung dieser Politik im Nahen Osten gab. Im Namen der Stabilität und Sicherheit wurden die dort herrschenden Regime nicht weiter in Frage gestellt.

Um was geht es dabei wirklich?
Es geht um wirtschaftliche Prosperität, um freien Zugang zum Öl und um den Schutz Israels. Genau hier hat der Arabische Frühling nur kurzfristig eine Änderung gebracht. Wir sind wieder mitten in diesem alten Schema, nur unter anderen Bedingungen. In Ägypten sitzen zwischen 20.000 und 40.000 politische Gefangene hinter Gittern. Folterungen sind keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Die USA und in einer schwächeren Form auch die EU arrangieren sich mit dieser Situation. Die US-Regierung weigert sich, den Militärputsch als solchen zu bezeichnen. Auch wenn die USA von einem Demokratisierungsprozess sprechen, haben wir heute so viel Gewalt wie niemals zuvor im modernen Ägypten. Und trotzdem erhält die Militärführung weiterhin Milliardenhilfen aus den Vereinigten Staaten. Zugleich sehen wir einen unglaublichen Anstieg an Repressionen…

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Besuch des amerikanischen Verteidigungsminister Chuck Hagel (Mitte) beim damaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi (Rechts) und General Abdel Fattah al-Sisi (Links). (Bild: US Secretary of Defense )

… gegen die Islamisten?
Gegen alle, die gegen den Coup arbeiten. Egal, ob es sich dabei um die Jugendbewegung des 6. April, Kabarettisten, Journalisten oder politische Führer verschiedenster Spektren handelt. Die Menschen erkennen, dass es keinen Demokratisierungsprozess mehr gibt. Es herrscht Chaos auf allen Seiten.

Tunesien entwickelt sich positiv, die jüngsten Wahlen geben Hoffnung.
Ja, es sieht gut aus in Tunesien. Dank einer sehr pluralistischen Mehrheit war die Revolution erfolgreich. Aber auch hier zeichnen sich problematische Entwicklungen ab: Viele Politiker des alten Regimes wiesen bei den Wahlen große Erfolge vor. Entscheidend dafür war und ist, dass die Ennahda-Partei, die die ersten Parlamentswahlen klar gewann, von ihren legitimen Ämtern zurückzutrat. Dem Parteivorsitzenden Rachid al-Ghannouchi war bewusst, dass es eine nationale Einheitsregierung und einen zivilen Staat geben muss. Nur so kann die Zukunft Tunesiens seiner Meinung nach gesichert werden. Ob die anderen oppositionellen Kräfte ebenfalls so denken oder langfristig ohne die Islamisten regieren wollen, bleibt abzuwarten. Ein Ausschluss eines derart großen Bevölkerungsanteils würde jedoch sehr rasch zu Problemen führen.

Haben diese Probleme auch mit den neuen Machtstrukturen im Nahen Osten zu tun? Türkei und Katar auf der einen Seite, die Golfstaaten auf der anderen…
Zu Beginn versuchten die Türkei und Katar einen möglichst konstruktiven Beitrag in der Neuordnung des Nahen Ostens zu leisten. Am Ende des Tages funktioniert dies aber ohne Hilfe aus den USA und der Europäischen Union nur mit massiven Einschränkungen. Die enge Allianz von Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die eine entgegengesetzte Politik in der Region führen, bringt Probleme mit sich. Die Türkei wie auch Katar verbuchen wirtschaftliche Rückschläge am Golf und werden nicht als ebenbürtige Partner von den anderen Golfstaaten angesehen. Hinzu kommen der Aufstieg des „Islamischen Staates“ und der Druck auf die Türkei, Bodentruppen zu entsenden. Ich wiederhole mich, aber egal wohin wir blicken, finden wir eine chaotische Situation vor.

Wie sieht die Zukunft von islamistischen Parteien aus, die im arabischen Raum bei allen Wahlen die Mehrheit erlangten?
Jegliche islamistische Bewegungen sind Teil der Muslimbruderschaft, entspringen dieser und stehen ihr ideologisch nahe. Der Versuch, diese vor Ort als terroristische Vereinigung zu brandmarken und diese Idee auch in Europa zu streuen, zeigt die Angst der alten Machthaber. Viele blicken auch in die Türkei, wo die AKP trotz vieler Erfolge vor großen Hürden steht. Der neue Präsident kann sich keine erneute Gezi-Protestwelle erlauben. Nur wenn die AKP für eine offene Gesellschaft eintritt, hat die Partei eine Zukunft.

In Ägypten sieht die Situation völlig anders aus und ist schwer vorhersehbar. Es sollte nicht vergessen werden, dass viele Experten – ob im Westen oder Osten – die Muslimbruderschaft unter Präsident Nasser für tot erklärten. Die zahlreichen Exekutionen und Gefängnisstrafen waren für viele eine Abschreckung. Am Ende gab es eine radikalisierte Jugend, die der Ideologie von Sayyid Qutb folgte. Die alte Garde hingegen weigerte sich einen militanten Weg einzuschlagen. Weiters spielt auch Religion in Ägypten eine entscheidende Rolle im öffentlichen Leben. Und das weiß auch (Anm.: Präsident) Sisi, der einen guten gegen einen schlechten Islam ausspielt. In einer derartigen Atmosphäre kommt es früher oder später erneut zu einem Spannungsfeld zwischen einem religiösen Mainstream und marginalisierten Gewalttätern.

Danke für das Gespräch.