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Oskar Deutsch: Bin zufrieden, wenn Strache zu Israel steht (Bild: Martin Juen)

Oskar Deutsch: Es ist kein Affront, wenn Strache zu Israel steht

Im Februar 2012 übernahm der Wiener Oskar Deutsch das Amt des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien sowie die Führung des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs (IKG). In den vergangenen Monaten kritisierte er mehrfach die Wiener Hofburg als Austragungsort für den Akademikerball und prangerte den seiner Meinung nach steigenden Antisemitismus von europäischen Musliminnen und Muslimen an. Im Interview spricht er über seine bisherigen Errungenschaften als IKG-Präsident, Antisemitismus in Europa, Straches Reise nach Israel und sein Problem mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

Fühlen Sie sich als jüdischer Bürger wohl in Österreich?

Ähm, ja ich fühle mich wohl und sehr sicher. Trotzdem beunruhigt mich die neue Form des islamischen Antisemitismus, die in Österreich sehr stark gestiegen ist. Ich weiß, dass sich die Sicherheitsbehörden darum kümmern, auch wenn es natürlich nie eine 100%ige Sicherheit gibt. Wien ist und bleibt aber eine wunderbare Stadt zum Leben.

Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Der islamische Antisemitismus ist sowohl in Österreich als auch in vielen europäischen Staaten ein neues Phänomen. Dieses Problem hat es in der Vergangenheit nicht gegeben, weil nicht so viele Moslems in Europa gelebt haben. Jetzt ist das anders. Es geht diesen Leuten nicht gut, sie sind arbeitslos und somit lassen sie sich leicht radikalisieren. Das passiert im Internet und zum Teil auch durch einige Prediger in Moscheen. Und dann kommen noch islamische Schulen in Europa hinzu, wo gehetzt wird. Dadurch, dass die Anzahl der Moslems so groß ist, reicht schon ein kleiner Teil an Radikalen, die ein großes Problem darstellen.

In Deutschland werden mehr als 95 Prozent aller antisemitischen Gewalt- und Straftaten von Nicht-MuslimInnen verübt. In Österreich sind die Zahlen wohl ähnlich. Warum streichen Sie den Ihrer Meinung nach „islamischen“ Antisemitismus derart hervor? 

Von 2013 bis 2014 sind die Vorfälle, die uns vom Forum gegen Antisemitismus gemeldet wurden, um 100 Prozent gestiegen. Und diese stammen zu einem Großteil aus dem islamistischen Umfeld. Wenn bei Demonstrationen „Tod den Juden“ skandiert wird oder Sie sich bestimmte Internetseiten ansehen, ist man mit islamischem Antisemitismus konfrontiert. Diese Form des Antisemitismus steigt jedenfalls am stärksten.

In Salzburg und Niederösterreich sehen wir aber seit einiger Zeit Nazi-Schmierereien.

Sie werden von mir nie hören, dass irgendwo genug dagegen getan wird. Die Behörden bemühen sich, aber es ist schon beängstigend, dass es diese Schmierereien in Salzburg schon so lange gibt. Und es macht mir Angst, dass man hier keinen Riegel vorschieben kann.

Oskar Deutsch: Bin zufrieden, wenn Strache zu Israel steht
Bild: Martin Juen

Welche Maßnahmen dagegen sehen Sie als zielführend?

Es ist nicht die Aufgabe des IKG-Präsidenten über Maßnahmen nachzudenken. Dafür gibt es die Sicherheitsbehörden und diese müssen da einschreiten. Diese Leute müssen ausfindig gemacht werden und gehören vor Gericht. Die Justiz sollte solche Antisemiten hart bestrafen, sodass andere davon abgeschreckt werden.

Wird in den Schulen genug getan, um an die Gräuel der Nazis, aber auch an den modernen Antisemitismus zu erinnern?

Ich weiß nicht, ob über die neuen Formen des Antisemitismus in den Schulen gesprochen wird. Das wäre sicherlich sehr wichtig. Aber was ich weiß ist, dass  der Geschichtsunterricht bis vor ca. 20 Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg geendet hat. Das ist jetzt anders, nun werden die Schüler darüber aufgeklärt. Aber nicht nur das: Seit 10-12 Jahren fahren regelmäßig mehr als 500 Schülerinnen und Schüler aus ganz Österreich nach Auschwitz und nehmen am „March of the Living“ teil. In diesem Jahr findet die Veranstaltung vom 15.- 17. April statt.

Das heißt, dass im vergangenen Jahrzehnt über 6.000 junge Menschen diese Eindrücke erhalten haben, um zu verstehen, was damals passiert ist. Österreich bemüht sich sehr, aber auch hier: Es ist nie genug.

Sie haben vorhin ihre Sorge über einen so genannten „islamischen“ Antisemitismus angesprochen. In einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung erwähnten Sie unbeantwortete Briefe an den Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Haben Sie seitdem etwas von Fuat Sanac gehört?

Die Briefe sind noch nicht in der Kultusgemeinde angekommen (lacht). Leider. Wir haben vor einiger Zeit mit einem Brief auf eine Moschee im 20. Bezirk aufmerksam gemacht, wo Hetze gegen Juden betrieben wird. Das Ganze kann sich jeder auf YouTube ansehen. Darauf erhielten wir keine schriftliche Antwort. Dann wurde uns mündlich mitgeteilt, dass es sich um eine falsche Übersetzung handelte. Wir wissen aber, dass das nicht stimmt. Ein wichtiger Faktor im Kampf gegen den islamischen Antisemitismus ist die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich. Sie müssen auf die Imame und auf die islamischen Schulen einwirken, damit so etwas nicht mehr passiert. Dazu müsste man aber kooperieren. Und wenn sie das nicht wollen, ja, dann ist das sehr schade.

Können Sie sich diese Vorgehensweise erklären?
Ich kann mir Sachen denken, aber erklären kann ich es nicht. Was soll ich da erklären. Ich hoffe, dass die Zeit kommen wird, wo allen Seiten bewusst wird, dass es in Moscheen keine Hetze gegen Juden geben darf. Und da gehört ein starker Druck der Bundesregierung dazu, damit die Islamische Glaubensgemeinschaft endlich durchgreift.

Fuat Sanac veröffentlichte am 30. Jänner 2015 auf seiner Facebook-Seite ein Zitat von Martin Luther King zum Thema friedliches Zusammenleben. Im Original wird unter anderem gesagt: „Schwarze und Weiße, Menschen aus dem Osten und aus dem Westen, Heiden und Juden, Katholiken und Protestanten, Moslems und Hindus“. In besagtem Facebook-Posting fehlt der Teil mit den Juden. Können Sie sich erklären, warum es hier keinen Aufschrei gibt?

Ich sehe das zum ersten Mal. Aber ich wundere mich nicht. Auch im Zusammenhang mit dem, was ich vorhin gesagt habe. Leider.

Oskar Deutsch: Bin zufrieden, wenn Strache zu Israel steht
Bild: Martin Juen

Haben Sie die Debatte rund um das neue Islamgesetz verfolgt?

Sie müssen verstehen, dass ich mich zum Islamgesetz nicht äußern möchte. Außer, dass es scheint, dass es im Einvernehmen zwischen den Verantwortlichen der österreichischen Regierung und der Islamischen Glaubensgemeinschaft beschlossen wurde. Und so soll es sein.

Ich frage, weil zwischen der Begutachtungsphase und dem Beschluss des neuen Israelitengesetzes von 2012 eineinhalb Jahre vergangen sind. Deutlich mehr als beim Islamgesetz.

Ich bin stolz darauf, denn gut Ding braucht Weile. Wir haben wirklich jeden Punkt dieses Gesetzes mit den zuständigen Leuten im Kultusamt des Ministeriums genau durchbesprochen. Wir hatten auch intensive Diskussionen mit einem jüdischen Verein, der sich nicht ausreichend repräsentiert gefühlt hat. Letztlich konnten wir hier aber eine gemeinsame Lösung finden. Danach war innerjüdisch in Bezug auf das Gesetz alles in Ordnung. In der Politik muss man einfach mehr Geduld haben. Es gab in den gesamten Verhandlungen mit der Regierung eigentlich keine Punkte, die für eine der beiden Seiten wirklich problematisch waren. Wir sind froh, dass wir das Israelitengesetz in dieser Form durchgebracht haben.

Sie sorgen sich in mehreren Interviews um jüdische Gemeinden in Europa. Sind Sie für eine Auswanderung nach Israel?

Die radikalen Moslems werden uns Juden sicher nicht aus Österreich vertreiben. Letztlich ist das aber eine individuelle Entscheidung, ob jemand in Stockholm, London oder Jerusalem leben möchte. Diese Frage stellt sich immer wieder für diejenigen, die sich nicht wohl, nicht sicher, fühlen. Ich habe vorhin schon gesagt, dass es mir gut geht und es sehr angenehm ist hier zu leben.

Wie bewerten Sie die Nähe Straches zu Israel? Sehen Sie das als Affront?

Nein, ich bin zufrieden, wenn sich Politiker, egal von welcher Seite, positiv zu Israel äußern. Das tun einige extreme Politiker wie auch Geert Wilders, der jüngst in Wien war. Es kann aber nicht sein, dass man sich positiv zu Israel äußert und auf der anderen Seite den Islam angreift. Das ist nicht in unserem Sinne. Da handelt es sich auch um eine Minderheit. Ich warne vor radikalen Islamisten, aber die meisten Moslems sind friedliebende Menschen wie du und ich.

Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Antisemitismus und legitimer Kritik an Israel?

Natürlich kann man Israel kritisieren, niemand ist perfekt. Es ist klar, dass ich nicht mit jeder Entscheidung Israels einverstanden bin. Was mich aufregt sind Leute, die nur Israel kritisieren. Egal was in Syrien, der Ukraine oder im Irak passiert, es wird von diesen Leuten immer nur das kleine Israel angeprangert. Das ist für mich Antisemitismus.

Wie offen muss eine Demokratie im Umgang mit PEGIDA-Aufmärschen und Akademikerball sein?

Natürlich muss die Meinungsfreiheit garantiert sein, aber es gibt Grenzen. Wenn man „Tot den Juden“ skandiert, Hakenkreuze verwendet oder dazu aufruft Minderheiten zu töten, dann ist die rote Linie überschritten. Da muss die Exekutive ihrer Arbeit nachkommen, damit diese Grenzen eingehalten werden. Der Akademikerball hat beim besten Willen nichts in der Wiener Hofburg zu suchen. Dabei handelt es sich um die Visitenkarte Österreichs. Können Sie sich vorstellen, dass Rechtsradikale im Berliner Schloss Bellevue einen Ball veranstalten? Sicher nicht. Leider ist das in Österreich möglich und das gehört geändert. Ein Entgegenkommen der Hofburg sehe ich derzeit nicht. Ich bin kein Gegner des Balls, der soll aber gefälligst woanders stattfinden. Und ich werde bei diesem Thema niemals ruhig sein.

Geht Ihnen die erwähnte Grenze in Österreich weit genug? Reicht das aktuelle Verbotsgesetz?

Mir wird zu wenig getan, um gegen die Leute, die diese Grenze bei Demonstrationen überschreiten, vorzugehen. Da könnte mehr getan werden. Wir bekommen jedoch demnächst ein Gesetz gegen Hate-Speech. Und was ich davon bislang gesehen habe, ist hervorragend. Ich kann nur hoffen, dass es auch angewendet wird.

Sie waren viele Jahre Vorsitzender des Fußballvereins Maccabi Wien. Wie sind hier Ihre Erfahrungen mit Rassismus im Stadion?

Ich war mehr als 15 Jahre Präsident von Maccabi Wien. Es gab einige Ausschreitungen, einen Spielabbruch und antisemitische Rülpser, aber das waren die Ausnahmen. Auch wenn jede Ausnahme eine zu viel ist.

Oskar Deutsch: Bin zufrieden, wenn Strache zu Israel steht
Bild: Martin Juen

Was sehen Sie als Ihre größten Errungenschaften seit der Übernahme des Präsidentenamtes?

Mir ist wichtig, dass wir unsere Gemeinde immer mehr öffnen und uns als Teil Österreichs sehen. Wir organisieren regelmäßig einen Tag der offenen Tür, Treffen mit nichtjüdischen Schulklassen und vieles mehr. Dieses Langzeitprojekt funktioniert bislang sehr gut. Ende des Jahres eröffnen wir das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien, das Wissenschaftlern ermöglicht, dem Holocaust in einer Zeit, in der immer weniger Zeitzeugen am Leben sind, nachzuforschen. Unsere Gemeinde gilt als eine sehr stark strukturierte mit einer sehr guten Infrastruktur. Jüdisches Leben, egal ob religiös oder säkular, findet mittlerweile 365 Tage im Jahr statt. Es gibt genügend Synagogen und Rabbiner, koschere Supermärkte, Restaurants, Schulen, Kindergärten aber auch ein sehr breites jüdisch-kulturelles Angebot wie Konzerte und Ausstellungen. Einfach ein tolles Angebot für jeden.

Was sind die größten Herausforderungen der Israelitischen Kultusgemeinde in den nächsten Jahren?

Es muss möglich sein, ein jüdisches Leben in Wien ohne Sicherheitskontrollen zu führen. So wie Kinder in eine katholische Schule gehen können ohne das Polizisten davor stehen. Das wäre für mich die größte Herausforderung. Wie realistisch das ist? Das weiß ich nicht, aber irgendwann wird das der Fall sein.

Abschließend, bei wem würden Sie gerne einmal nachhaken?

Ich würde sehr gerne noch einmal mit Yitzhak Rabin ein längeres Gespräch führen. Er war ein Visionär, er wollte das, was ich für richtig halte: ein friedliches Israel mit Sicherheit auf allen Seiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Nina Horaczek im Interview

Nina Horaczek: Rechts neben der FPÖ ist das Verbotsgesetz

Ihr gemeinsam mit Claudia Reiterer verfasstes Buch über Heinz-Christian Strache ist der wohl detaillierteste Einblick in die Welt des aktuell erfolgreichsten österreichischen Politikers des Dritten Lagers. Nina Horaczek ist Journalistin bei der Wiener Stadtzeitung „Falter“ und publiziert seit vielen Jahren zu den Themen Rechtsextremismus, Flüchtlingspolitik und Stereotypenforschung. Im Interview spricht sie über die in ihren Augen angestrebte Apartheidpolitik der FPÖ, den kometenhaften Aufstieg unter Strache und warum mit den Freiheitlichen kein Staat zu machen ist.

Wäre Österreich ohne die FPÖ im Parlament ein schönerer Ort?

(lacht) Wo wäre die FPÖ wohl, wenn sie nicht im Parlament wäre? Eine außerparlamentarische Opposition? Aber im Ernst, ich würde den Fokus nicht allein auf die FPÖ legen. Man kann nicht einfach sagen die Partei ist weg und Österreich ist perfekt. Die Frage ist eher, warum hat Österreich eine in meinen Augen rechtsextreme Partei, die ein Viertel der Stimmen bei Wahlen verbuchen kann. Ich glaube, Österreich wäre ein schönerer Ort, wenn es gelingen würde, dass die Menschen mehr Offenheit gegenüber Fremden und Anderen zeigen. Dieses Problem lässt sich aber nicht auf die FPÖ reduzieren.

„Ich habe nichts gegen Ausländer und Ausländerinnen, aber…“ – Kann diesem Sammelsurium an Vorurteilen mit Fakten gekontert werden?

Das erste Buch in diese Richtung, an dem ich mitgewirkt habe, hieß „Handbuch gegen Vorurteile“. Die Reaktionen waren sehr spannend. Viele meinten, dass sie die Hintergründe der unterschiedlichen Vorurteile nicht kannten. Da war es wieder: der Moslem oder der Ausländer, der seine Frau geprügelt hat. Mithilfe von diesem Buch verstanden aber sehr viele Menschen, wie mit derartigen Stereotypen umgegangen werden kann.  Einem Hardcore-Rassisten braucht man so ein Buch aber nicht hinlegen. Das neue Buch, das bald erscheint, ist für junge, weltoffene Leute und da glaub ich schon, dass ihnen objektive Fakten helfen, Vorurteilen zu begegnen. Als ich einmal einen Vortrag über die FPÖ hielt und im Publikum viele Berufsschüler saßen, kam einer nachher zu mir und bedankte sich, weil er sich so einsam fühlte als einziger Nicht-FPÖler in seiner Schule. Er meinte, dass ihm in Gesprächen oftmals die Argumente fehlen würden. Genau diese Leute brauchen eine Grundlage, mit der sie Diskussionen führen können. Das ist meine Hoffnung.

Zurück zur FPÖ: Warum bezeichnen Sie die Partei als rechtsextrem?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die FPÖ möchte den Sozialstaat reformieren, indem sie zwei Sozialversicherungen etabliert, eine für die Ausländer und eine für die Inländer. Hat der Inländer ein Hüftproblem, erhält er auf Kosten der Allgemeinheit ein künstliches Gelenk sowie die bestmögliche Therapie. Hat der Ausländer, der sein ganzes Leben hier gearbeitet hat, dasselbe Problem, bekommt er ein Aspirin und einen feuchten Händedruck. Das ist für mich eine klassische Apartheidpolitik, das ist Rassismus. Ein wesentlicher Punkt der FPÖ ist das regelmäßige Anstreifen am Nationalsozialismus. Auch wenn man sagen muss, dass bei einem Verstoß gegen das Verbotsgesetz mittlerweile der Parteiausschluss folgt. Aber es bleibt die einzige Partei Österreichs, der ein solcher Verstoß andauernd passiert. Und die FPÖ ist ganz klar islamfeindlich: Das fängt an bei den Mohammed-Beschimpfungen durch die Nationalratsabgeordnete Susanne Winter, über Daham statt Islam bis hin zu diesem Computerspiel bei den steirischen Landtagswahlen 2010. Das ist kein Populismus, das ist rechtsextrem. In Deutschland etwa werden solche Spiele von der NPD verbreitet und die ist ganz klar draußen aus der Politik.

Warum erhält die FPÖ trotz der Skandale und der blamablen Ausführung von Regierungsverantwortungen immer wieder einen großen Anteil der Wähler- und Wählerinnenstimmen?

Zum einen schafft es die FPÖ sich immer wieder als die „Anderen“ darzustellen. Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist. Diesen Spruch von Jörg Haider benutzte später auch Strache. Die FPÖ stellt sich stets erfolgreich als Opfer dar. Den anderen Parteien hingegen gelingt es nicht, die Freiheitlichen zu entzaubern. Interessant ist, dass die FPÖ zudem Grenzen in der politischen Debatte verschiebt. Das 1993 initiierte Anti-Ausländer-Volksbegehren würde im Jahre 2015 wohl kaum hunderttausende Menschen auf die Straße bringen, weil solche Forderungen niemanden mehr schockieren. Heute gilt man nicht als Rassist, wenn man sagt, es sind zu viele Ausländerkinder in den Schulen. In den 90-er Jahren war so etwas undenkbar.

Nina Horaczek im Gespräch
Bild: Christoph Hopf

Rechte Rülpser sind heute aber auch von Rot, Schwarz und Grün zu hören. Sind diese Parteien gezwungen, die Früchte der FPÖ zu ernten?

Na ja, da nimmt man diese Parteien ziemlich aus der Pflicht. Das haben sie sich schon selbst zuzuschreiben. Es wäre naiv zu glauben, dass etwa das Islamgesetz dazu führt, dass ein Wähler von der FPÖ zur SPÖ oder zur ÖVP wechselt. Keine Ahnung, was die zwei Parteien da geritten hat. Ich habe mir vor kurzem angesehen, wie dieses Feindbild Islam bei der FPÖ entstanden ist. Sieht man sich etwa die Presseaussendungen rund um die Terroranschläge vom 11. September 2001 an, ist auffallend, dass es weder davor noch danach sehr viele FPÖ-Presseaussendungen zu Islam und Islamismus gab. Erst als 2005 die Partei von Strache übernommen wurde kam es zu einer massiven Thematisierung. Die anderen Parteien überließen der FPÖ das Feld und haben sich auch nicht dagegen gestellt.

Hängt das damit zusammen, dass Jörg Haider ein scheinbar sehr gutes Verhältnis zu arabischen Despoten hatte?

Wenn man es sehr provokant sagt, dann ist der Haider zu den arabischen Diktatoren wie Gaddafi und Hussein gefahren und Strache reist eben nach Israel, weil er das Land plötzlich als Bollwerk gegen die Islamisierung des Abendlandes entdeckt.

Hätte Jörg Haider das BZÖ ebenfalls auf einen islamfeindlichen Diskurs gelenkt?

Wenn es Stimmen bringt, sofort. In Kärnten etwa hatte er einen unbescholtenen muslimischen Imam als Hassprediger gebrandmarkt und ihm die Staatsbürgerschaft verwehrt.

Man hatte gegen Ende den Eindruck das Staatsmännische steht vor dem Populismus.

Gegen Ende von Jörg Haider hat man gar nicht mehr gewusst, was er wirklich will. Ich glaube, dass er selbst nicht mehr wirklich wusste, was er heute sagt und morgen tut.

Was bezweckt Stefan Petzner mit seinem neuen Haider-Buch?

Da geht es um ein paar Leute, die sich mithilfe von sozialen Medien wichtigmachen wollen. Natürlich verstehe ich die Familie, dass sie sich noch immer daran klammert und wissen möchte, was in Haiders Todesnacht genau passiert ist. Ich finde es aber grauslich, dass sich da bestimmte Medien daran beteiligen. Warum wird die Familie nicht einfach in Ruhe gelassen?

Hat der Tod von Jörg Haider das Ende vom BZÖ eingeläutet?

Ja, das war klar. Da waren nur noch die paar Glücksritter übrig, die sich die letzten Brotkrümel geholt haben. Ursula Haubner wollte sicherlich das Erbe ihres Bruders retten, aber die anderen haben ihre Periode im Nationalrat abgesessen und sich dann nach Alternativen umgesehen.

Nina Horaczek im Gespräch
Bild: Christoph Hopf

Gibt es heute neben der FPÖ noch Platz im Dritten Lager?

Ich wüsste nicht, wer Strache den Rang ablaufen könnte. Das hätte vielleicht noch ein Uwe Scheuch geschafft, aber der ist weg vom Fenster. Ich sehe da keinen Platz rechts neben der FPÖ, wobei rechts neben der FPÖ ist eh schon die Wand. Oder das Verbotsgesetz.

Und PEGIDA?

Deutschland hat PEGIDA, wir haben die FPÖ. Ich weiß auch nicht, was den Ewald Stadler reitet da mitzumachen. Stadler war sicherlich als Dobermann von Haider eine Kampfmaschine im Parlament. Aber dass er jetzt eine Volksbewegung aus dem Boden stampft, das glaube ich nicht. Vielleicht gehen ein paar sektoide mehr Christen auf die Straßen, aber eine derartige Strahlkraft traue ich ihm nicht zu. Aber wer weiß … (lacht).

In Ihrem Strache-Buch heißt ein Kapitel „Zuerst Bürgermeister, dann Kanzler“. Wird sich eines von beiden jemals ausgehen?

Bei den kommenden Wien-Wahlen sicher nicht. Vize-Kanzler hingegen wird schon möglich sein. Ich erinnere mich an das Jahr 2005, wo sowohl die Journalisten, als auch die Meinungsforscher dem Strache ein Potential von drei Prozent vorhersagten. Ich sehe ein wahnsinniges Vakuum der ehemaligen Großparteien und wenn Strache nichts entgegengesetzt wird, wird einiges möglich sein. Diesmal wird sich der Bürgermeistertitel in Wien aber nicht ausgehen, ich kenne auch seine Pläne für die Zeit nach der Wahl nicht. Dieser kometenhafte Aufstieg der FPÖ unter Strache war nur möglich, weil die Partei parterre war, als er sie übernommen hatte. Von drei Prozent hüpft es sich leichter hoch als von 27,5 Prozent. Was ich ganz klar sehe, ist, dass diese Isolierung der Partei für eine mögliche Koalition wie Windbäckerei dahinbröckelt. Und zwar nicht nur bei der ÖVP, sondern auch bei der SPÖ. Auf Gemeindeebene lassen sich die Sozialdemokraten ja bereits von jedem dahergelaufenen Blauen zum Bürgermeister wählen. Aber was im Burgendland und in der Steiermark anklingt…

… aber ist diese Isolation sinnvoll und spielt man damit der FPÖ nicht in die Hände?

Man muss auf die Inhalte eingehen und die Partei nicht einfach nur dämonisieren. Das wäre ein Fehler. Die FPÖ ist keine Partei wie alle anderen und das muss man auch betonen. Die Freiheitlichen haben es geschafft, den Hyposkandal so darzustellen, als ob dieser gar nichts mit der Partei zu tun hatte. Strache saß 2003 bereits im Bundesparteivorstand und die Partei baut auf Haider auf, der die Republik in diese ganze Scheiße gebracht hat. Und bis auf die Grünen haben die anderen Parteien ihn auch machen lassen. Das macht es für sie natürlich nicht leichter. Der FPÖ wird zu wenig auf sachlicher Ebene begegnet. Mit der FPÖ ist kein Staat zu machen und das kann man auch einfach belegen.

Nina Horaczek im Gespräch
Bild: Christoph Hopf

Gibt es aktuell regierungsfähige Minister und Ministerinnen der FPÖ?

Fairerweise sollte gesagt werden, dass es für jede Oppositionspartei sehr schwer ist, diesen Regierungsapparat, den man nicht gut genug kennt, zu übernehmen. Das gilt natürlich auch etwa für die Grünen. Was ich bei Strache sehr auffällig finde ist, dass er nach zehn Jahren Parteiführung keine wirkliche Breite in der FPÖ geschafft hat. Ich sehe aktuell kein ministrables Personal. Aber Kreiskys haben die anderen Parteien auch keinen, das aktuelle Niveau ist generell sehr tief. Es gibt auch in der FPÖ strategisch denkende Personen, die sicherlich nicht jeden Fehler von 2000 wiederholen werden. Aber es wird sicher brachial werden, wenn die FPÖ in die Regierung kommt. Dann ist natürlich noch abzuwarten, wie der Bundespräsident bei Kandidaten wie Gudenus reagieren würde. Aber das will ich mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen (lacht).

Abschließend, bei wem würden Sie gerne einmal nachhaken?

Schwierig, die großen Politiker nicht, die reden nicht offen. Was mir wirklich Spaß machen würde, wäre ein Abend mit einem Ex-Politiker wie Schröder oder irgendwann später einmal Merkel oder Obama. Einfach off the record zu hören, wie es wirklich zugeht. Wie Sachen wirklich passieren. Das wäre sehr spannend.

Vielen Dank für das Gespräch!