Schlagwort-Archive: Kirche

Bischof Bünker: Freiheit ohne Verantwortung führt zur Zügellosigkeit (Bild: Christoph Hopf)

Bischof Bünker: Freiheit ohne Verantwortung führt zur Zügellosigkeit

Seit vielen Jahren leitet er die Geschicke der evangelischen Kirche in Österreich. Bischof Bünker nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um Ungerechtigkeit und fragwürdige Entwicklungen in der österreichischen Gesellschaft geht. Im Gespräch spricht er darüber, ob er das Lied „Losing My Religion“ auf seinem Schlagzeug spielt, über die Herausforderung Glaube, viel Historisches und von seinem ganz persönlichen Missionarsverständnis.

Laut Webseite der Evangelischen Kirche spielen Sie Schlagzeug und hören Bach, Schubert und Mozart. Hören Sie auch moderne Musik?

(lacht). Ja und zwar alle möglichen Richtungen. Ich höre sehr gerne Rockmusik, wie etwa die Rolling Stones. Aber ich verehre auch andere Gruppen, die natürlich sehr viel mehr als ich am Schlagzeug spielen können. Ich spiele auch mit vier Freunden in einer Band namens „Kreuzweh“, wir hatten erst jüngst am 25. April im Albert Schweizer Haus ein  Konzert. Da spielten wir alles Mögliche von R.E.M. über Dire Straits bis hin zu Van Morrison. Ich höre auch sehr gerne zeitgenössische Musik. Etwa am Karfreitag veranstalten wir jedes Jahr einen Abend der Meditation und Besinnung. Wir setzen hier sehr viel zeitgenössische Musik ein, teilweise auch mit Uraufführungen in Österreich. In diesem Jahr hatten wir Studierende und Lehrende der Musikuniversität zu Besuch, alles Schlagwerker. Das war großartig.

Spielen Sie auch den Song „Losing My Religion“?

Unser letztes Konzert haben wir sogar damit begonnen. Rockmusik ist Rockmusik und immer ein Ausdruck der Zeit. Ich habe da keine Berührungsängste. Der Verlust von Religion ist ja für viele Menschen eine Tatsache. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen.

Wie viel Zeit investieren Sie in Ihre musikalische Leidenschaft?

Ich habe wöchentlich eine Schlagzeugstunde und übe daneben zu Hause. Es gibt heuer auch ein sehr anspruchsvolles Projekt, das am 18. Juni stattfindet. Wir treten gemeinsam mit dem Jüdischen Chor im Wiener Volkstheater auf. Während der Oberrabbiner singt, spielt ein ganz prominenter Vertreter der katholischen Kirche, Abtprimas Notker Wolf von den Benediktinern, die Querflöte. Also eine christlich-jüdische Shalom-Band und das ist viel anspruchsvoller, weil es in Richtung Jazz geht. Da muss ich noch einiges üben.

Bischof Bünker: Freiheit ohne Verantwortung führt zur Zügellosigkeit (Bild: Christoph Hopf)
Bild: Christoph Hopf

Sie gehen auch gerne ins Kino. Was war der letzte Film, den Sie gesehen haben?

Das ist schon eine Weile her, leider fehlt mir die Zeit. Einen Film, den ich unbedingt sehen möchte, ist „Die Superwelt“ von Karl Markovic, den schätze ich sehr. Ich fand bereits seinen ersten Film sehr gut. Der neue Film beschäftigt sich ja auch mit religiösen Themen. Das letzte Mal im Kino war eher ein Vergnügen – „Das ewige Leben“ von Wolf Haas und mit Josef Hader.

Die Unterhaltungsindustrie vermittelt heutzutage zahlreiche moralische Werte. Finden Sie, dass sich diese in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben?

Das ist natürlich richtig. Ich kann mich erinnern, als der US-amerikanische Kriminalautor Eric Ambler einst meinte, dass Kriminalautoren und Kriminalautorinnen die letzten Moralisten seien. Die wissen noch, was gut und was böse ist. Und das fand ich immer sehr bemerkenswert. In Bezug auf die Veränderungen denke ich, dass diese sehr weit auseinander gehen. Die europäischen Gesellschaften sind nicht nur in sich selbst pluralistisch, sondern auch in ihren Werthaltungen. Es gibt verschiedene Milieus, die sich unterschiedlich definieren, wie der Hedonist und die Hedonistin oder die Traditionalisten. Und das spüren wir in der Gesamtgesellschaft. Umso wichtiger ist mir, dass wir eine Basis haben, so etwas wie eine Hausordnung, auf die wir uns alle verständigen können.

Haben Sie das Gefühl, dass die Werte der evangelischen Kirche bei den jungen Menschen ankommen?

Ich denke, es kommt schon an. Der evangelische Glaube mutet den Menschen ja einiges zu, sie haben ein hohes Freiheitspathos und schätzen die individuelle Persönlichkeit. Die Gewissensentscheidung ist sehr wichtig, die Urszene ist immer Martin Luther vor dem Reichstag in Worms mit den Worten: „Hier stehe ich und ich kann nicht anders.“ Das hat sich stark eingeprägt. Zugleich bedeutet Freiheit aber nicht Beliebigkeit und „anything goes“, jeder und jede tut was er oder sie will. Sondern sie ist nur dann realisiert, wenn sie in Verantwortung wahrgenommen wird. Freiheit ohne Verantwortung führt zur Zügellosigkeit, das sah man etwa in der Finanzkrise. Wie die Verantwortung gestaltet wird, das ist immer eine Frage, die nach sachlichen und ethischen Kriterien zu entscheiden ist. Das ist für die Religionen sicher nicht immer leicht, da wir davon ausgehen, dass unsere Werte und Regeln einen göttlichen Ursprung haben. Aber auch das müssen wir erklären und verständlich machen. Wir sehen das bei ethischen Fragen wie Euthanasie, Sterbehilfe und der Fortpflanzungsmedizin.

Bischof Bünker: Freiheit ohne Verantwortung führt zur Zügellosigkeit (Bild: Christoph Hopf)
Bild: Christoph Hopf

Macht die Evangelische Kirche hier genug?

Naja, genug wird es nie sein. Die Mitglieder der evangelischen Kirche sind wie die österreichische Bevölkerung, die Kirche ist ja keine Gesinnungsgemeinschaft oder eine Partei. Trotzdem hat sie in einigen Fragen sehr klar Position bezogen, wie etwa in der Asyl- und Flüchtlingsdebatte. Oder bei der Armutsbekämpfung und dem gegenseitigen Respekt zwischen den Religionen. Hier treten wir glaubwürdig für unsere Werte und Vorstellungen ein, davon bin ich überzeugt. Da spielt die professionelle und qualitätsvolle Arbeit in der Diakonie eine ganz besondere Rolle.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Politik zuhört? Oder geht das bei einem Ohr hinein und beim anderen hinaus?

Ich möchte jetzt nicht den türkischen Präsidenten zitieren (lacht). Ich denke schon, dass die Politik zuhört, da die einzelnen Politikerinnen und Politiker ja immer wieder selbst vor den vorhin erwähnten Fragen stehen. Die politische Gestaltungsfrage ist heute hochkomplex und schwierig, das muss man sich schon eingestehen. Man kann sich hier keine Wunder erwarten. Max Weber meinte einst, Politik sei wie das Bohren von harten Brettern und das erleben auch heute alle, die in der Politik engagiert sind. Ich habe da großen Respekt vor allen, die sich dieser Aufgabe widmen. Die Gesprächsbasis zwischen den Religionen, den zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und der Politik ist in Österreich gut, aber sie müsste noch mehr verdeutlicht werden. Die evangelischen Kirchen haben gemeinsam mit anderen Kirchen eine Zeit lang vorgeschlagen, dass es so etwas wie eine Sozialverträglichkeitsprüfung bei Gesetzesvorschlägen geben sollte. Das hätte etwa bei der Steuerreform ganz gut getan.

Warum fällt es den Menschen heute so schwer über Gott zu sprechen?

Ich glaube das ist etwas typisch Österreichisches. Das ist in den USA sicherlich nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Oder auch in anderen Teilen der Welt. Europa steht in einer Tradition, wonach in der Öffentlichkeit eine gewisse Distanz zu religiösen Themen vorherrscht. Wenn jemand wirklich glaubt, dann verbirgt er das eher. Man sollte nicht vergessen, dass es Zeiten gab, wo man für den eigenen Glauben mit sehr üblen Konsequenzen rechnen musste. Die österreichischen Evangelischen wissen das aus ihrer eigenen Geschichte, sechs Generationen lang lebten sie einen geheimen und unterdrückten Protestantismus. Das betrifft auch Jüdinnen und Juden, die nicht gern mit der Kippa auf die Straße gehen, aber auch Kopftuchträgerinnen. Ich fürchte, dass diese Grundeinstellung, wonach Religion etwas Problematisches und Provozierendes sei, in Österreich besonders ausgeprägt ist.

Bischof Bünker: Freiheit ohne Verantwortung führt zur Zügellosigkeit (Bild: Christoph Hopf)
Bild: Christoph Hopf

Gab es hier historisch einen Bruch? Österreich ist ja doch sein sehr „katholisches“ Land.

Ich würde sagen, dass es eine weitere Ausdifferenzierung der modernen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft ist. Dieses Lagerdenken, wonach man in die Kirche geht, eine gewisse Partei wählt und nur eine Zeitung liest, ist endgültig überwunden. Zweitens hat es eine kulturelle Wende durch die 1960er und 1970er gegeben. Von der Religion als Schicksal zur Religion als Wahl hat es einst ein Soziologe auf den Punkt gebracht. Das trifft es ganz gut. Die Menschen sind religiös, aber in ihrer Form sehr viel freier als sie es früher waren. Umso mehr ist es erfreulich, dass sich so viele um eine bewährte Form der Religionsausübung bemühen.

Gibt es hier einen Unterschied zwischen dem Glauben an Gott und dem Praktizieren einer Religion?

Ja. Es gibt ja nicht nur einen gesellschaftlichen Druck auf Privatisierung von Religion, sondern auch ein Misstrauen gegenüber den Institutionen. Das ist heute sehr stark in der Gesellschaft verankert.

Was ist Ihr ganz persönliches Missionarsverständnis?

Mission heißt zeigen, was man liebt. Das stammt nicht von mir, aber das ist sehr überzeugend. Ein anderes Verständnis wäre, dass du nicht über Gott reden sollst, wenn du nicht gefragt wirst, sondern so leben sollst, dass du gefragt wirst. Das finde ich sehr einleuchtend. Jede Kirche und Religionsgemeinschaft, insbesondere das Christentum und der Islam, sind missionarisch. Sie können auch nicht anders. Aus der persönlichen Glaubensüberzeugung heraus ist man ja davon überzeugt, dass das mit dem großen Ganzen zu tun hat. Man muss sich daher auch in die politischen Fragen, die das Zusammenleben betreffen, einmischen. Die Zahl der Menschen, die ohne Religion leben – ob bewusst oder unbewusst – nimmt ja zu. Daher müssen sich Religionen verständlich machen und einladend und transparent sein. Dafür gibt es in Österreich auch gute Voraussetzungen.

Stichwort Islam: Die Evangelische Kirche hat das neue Islamgesetz scharf kritisiert. Wie erklären Sie sich, dass dieses so schnell verabschiedet wurde?

Ich kann da nur mutmaßen, ich kann nichts über die beteiligten Personen sagen. Auf der einen Seite war es erstaunlich, dass da im Jahr 2012, also 100 Jahre nach dem alten Habsburgergesetz, nichts gekommen ist. Und jetzt ging es relativ schnell, nicht zuletzt durch das öffentlich Werden des IS-Terrors im vergangenen Sommer. Das war sicherlich ein „Beschleuniger“. Und das merkt man dem gesamten Gesetzwerdungsprozess und dem Gesetz selbst auch an. Es beinhaltet ja einzelne Punkte, die eben aus diesem Motiv heraus dem Entwurf beigefügt wurden. Und das hat die Evangelische Kirche auch kritisiert. Diese haben nichts mit der Religion zu tun. Österreich gilt ja als Musterland, aber man kann alles mit einem Fragezeichen versehen. Die Aleviten etwa sagen, dass dieses Land das einzige ist, wo sie anerkannt sind. Auch für uns Evangelische war es sehr wichtig, dass wir nach der Zeit der Unterdrückung und Illegalität im Jahre 1781 erstmals toleriert wurden. Ab den 1850er Jahren war es möglich, dass man etwas sichtbarer evangelisch war, sprich Kirchen und Kirchtürme bauen konnte. Die volle Gleichberechtigung haben wir erst 1961 durch das Protestantengesetz erhalten.

Bischof Bünker: Freiheit ohne Verantwortung führt zur Zügellosigkeit (Bild: Christoph Hopf)
Bild: Christoph Hopf

Sehen Sie da Parallelen zur Islam-Debatte, wie etwa dass das Evangelische nicht zu Österreich gehöre?

Das ist sehr interessant, dass Sie das ansprechen. Es war auffällig, dass im Jahre 1981, also 200 Jahre nach dem Toleranzpatent, der damalige Bundespräsident Rudolf Kirchschläger bei einer Einweihung einer evangelischen Kirche in Kärnten sagte, dass die Evangelischen ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil Österreichs seien. Also quasi, der Protestantismus gehört zu Österreich. 1981, das muss man sich einmal vorstellen! Das war das erste Mal, dass ein derart hoher Vertreter der Republik eine solche Aussage tätigte. Man hat ja sehr lange gedacht, dass es sich dabei nur um deutsche ZuwanderInnen oder KonvertitInnen handelt. Und beides gibt es auch. Aber dass der Protestantismus auch eine angestammte Form ist, das Christentum zu leben, das hat man in Österreich lange nicht wahrhaben wollen.

Bleiben wir bei der Geschichte der Evangelischen Kirche: Wie stark schätzen Sie heutige Strömungen ein, die zurück zu einer Einheitskirche wollen? Das Ziel der Reformation war ja nicht die Spaltung des Christentums.

Mit der Spaltung der Christenheit wird man sich nie abfinden. Das ist das Anliegen der Ökumene, die Kirchen müssen zusammenwachsen. In Österreich geschieht das in einer doch sehr guten Weise. Aber alle sind sich einig, dass wir keine Einheitskirche anstreben. Diese wird es wohl nicht geben. Was es aber geben kann, ist eine stärkere Gemeinschaft. Die Unterschiede sind eine Bereicherung und sollten nicht als etwas Trennendes gesehen werden. Wir sagen gerne, dass es eine Einheit in versöhnter Verschiedenheit sein sollte. Die Fusion führt letztlich wieder zu neuen Spaltungen und das kann ja letztlich nicht das Ziel sein.

Auf einer Skala von 1 bis 100, wie weit ist man da?

Im praktischen Leben sind wir da schon sehr weit. Es ist kein Problem in einer konfessionsverbindenden Familie zu leben oder am Gottesdienst des Anderen teilzunehmen. Das war bei unseren Großeltern noch streng verboten. Heute lesen wir gemeinsam aus unserer Heiligen Schrift. Da ist in den letzten 50 Jahren sehr viel geschehen. Auch die gegenseitigen Verurteilungen sind revidiert worden, man schätzt sich gegenseitig und sieht auch, was man vom Anderen übernehmen und lernen kann. Auf einer Skala von 1 bis 100, würde ich schon 70/80 sagen. Ich bin da nicht pessimistisch und denke, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Insbesondere, wenn man sich den neuen Papst ansieht und das, was man aus Rom hört. Es wird aber sicher nicht so schnell gehen.

Noch etwas Historisches: Wie erklären Sie sich den Wandel von Martin Luther, von einem Toleranzprediger hin zu jemandem, der die Verfolgung der Juden und Jüdinnen unterstützte?

Der Unterschied zwischen dem jungen und alten Martin Luther ist insbesondere in dieser Frage sehr eklatant. Aber nicht nur in dieser. Es gibt auch andere Fragen, wo der alte und kranke Mann sich plötzlich sehr hart äußerte. In Bezug auf das Judentum, ging er von Anfang an davon aus, dass bei einem wieder gereinigten Evangelium die Juden und Jüdinnen Jesus als den Messias annehmen. Und das war natürlich eine Illusion, das würden wir heute gar nicht mehr erwarten. Davon haben wir uns verabschiedet. Die Juden sind Gottes Volk und ihr „Nein“ zur Messianität von Jesus Christus ist für uns auch wichtig. Es erinnert uns immer daran, was noch fehlt vom versprochenen Reich des Messias. Das ist ja eine offene Frage. Die evangelischen Kirchen in Österreich haben sich 1998 sehr klar von diesen späten Luther-Schriften distanziert. Es hieß sogar, wir verwerfen diese Schriften. Luther ist für uns kein Heiliger, er hat auch vieles gesagt, wie etwa während den Bauernkriegen, das wir heute nicht akzeptieren können. Es wird zum Thema „Luther und die Juden“ demnächst eine Tagung in Salzburg geben. Das gehört offen ausgesprochen und man muss auch zu dieser Schuldgeschichte stehen.

Bischof Bünker: Freiheit ohne Verantwortung führt zur Zügellosigkeit (Bild: Christoph Hopf)
Bild: Christoph Hopf

Was ist für Sie persönlich das dunkelste Kapitel der evangelischen Kirchengeschichte in Österreich?

Das ist der Nationalsozialismus. Die Evangelischen in Österreich waren sehr anfällig dafür, sich etwas Positives vom Anschluss an Deutschland zu erwarten. Sie haben im 19. Jahrhundert sehr stark das Evangelisch-sein und Deutsch-sein miteinander identifiziert. Die Evangelischen haben 1938 in einer für mich bis heute erschreckenden Art und Weise den Anschluss begrüßt. Das halte ich für einen schweren politischen aber auch theologischen Irrtum. Man hat vergessen auf das Judentum, also unsere Wurzeln, aber auch auf die Schwachen und die, die an den Rand gedrängt werden. Und plötzlich sehnt sich die Kirche nach Einfluss und Macht. Und das halte ich immer für gefährlich für Kirchen.

Sind Sie mit der Aufarbeitung dieser Zeit zufrieden?

Ich glaube, dass wir hier keinen Schlussstrich ziehen können. Es gibt sicherlich Bereiche, wie etwa bei den Stichwörtern Euthanasie und Arisierung, wo eine gute Aufarbeitung geleistet wurde. Die Evangelische Kirche ist heute auch ganz klar und unumstößlich gegen rechtsradikale und rechtspopulistische Strömungen positioniert. Das heißt aber eben nicht, dass man einen Schlussstrich ziehen darf. Man muss hier sehr wachsam bleiben.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Ihre Kirche in Österreich?

Die Frage, die wir uns stellen müssen ist, welchen Beitrag wir als Minderheit von 300.000 Menschen zum großen Ganzen in Österreich leisten. Also für das Miteinander der Religionen und das gesamte Zusammenleben in unserem Land. Und für Menschen, die unseren Einsatz brauchen, wie Flüchtlinge, Menschen, die unter der Armutsgrenze leben und Behinderte. Und wie wir zugleich in einer glaubwürdigen und einladenden Weise unsere Form des christlichen Glaubens leben und feiern können.

Und im globalen Kontext?

Die Kirchen und Religionen müssen generell ihre gemeinsame Verantwortung wahrnehmen, dass die weltweiten Konflikte nicht mit Gewalt gelöst werden und dass Gerechtigkeit das oberste Prinzip ist und die Schöpfung gewahrt werden sollte.

Abschließend, gibt es jemanden bei dem Sie gerne einmal nachhaken würden?

Bei verstorbenen Personen fällt mir Dietrich Bonhoeffer ein, ein evangelischer Widerstandskämpfer und Märtyrer. Unter den lebenden Personen will ich niemanden in Verlegenheit bringen, aber ich finde Meryl Streep sehr gut. Das wäre ein interessantes Gespräch.

Vielen Dank für das Gespräch!

Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen (Bild: Christoph Hopf)

Erhard Busek: Für was stehen Parteien eigentlich noch?

Vier Jahre lang führte er die Geschicke der Österreichischen Volkspartei, war Vizekanzler, Wissenschaftsminister und stellvertretender Wiener Landeshauptmann. Erst eine Kampagne der „Kronen Zeitung“ beendete seine parteipolitische Laufbahn und brachte Wolfgang Schüssel an die ÖVP-Spitze. Erhard Busek setzte sich fortan für mitteleuropäische Interessen ein und leitet bis heute das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa. Im Interview spricht der 74-jährige Wiener über die Performance der ÖVP, die Herausforderungen der katholischen Kirche, Europas Russlandpolitik und darüber, warum Kurz der erste richtige Außenminister seit langem ist.

Was hält Sie fit und stark im Leben?

Eine gute Frage. Es war mir immer wichtig Dinge zu tun, die interessant sowie spannend sind und einem etwas im Leben abverlangen. Ich bin ein starker Anhänger von Themenwechseln, das können sie in meiner Karriere genau verfolgen. Ich bin nicht monoman, aber oftmals ergibt sich ein neues spannendes Thema aus dem anderen.

Und gesundheitlich? Treiben Sie viel Sport?

Null. Ich war immer der Meinung Sport ist Mord, oder wie es Winston Churchill zu sagen pflegte: „No sports“. Das hat natürlich seine Nachteile, dafür zahlen Sie einen gewissen Preis. Aber bis jetzt halte ich es ganz gut aus. Solange mein Gehirn funktioniert, bin ich zufrieden.

Gibt oder gab es Momente, wo Sie das tagespolitische Geschäft vermissen?

Nein, die gab es niemals.

Weil?

Das ist je nach Aufgabenstellung verschieden, aber ich habe keine Lust mehr, mich ständig in die Tagespolitik einzumischen. Natürlich gibt es in meiner jetzigen Funktion auch Überschneidungen mit tagespolitischen Themen. Aber ich bin eher grundsatzorientiert, das ist mir auch das Angenehmste.

Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen
Bild: Christoph Hopf

Hat sich in Sachen Tagespolitik viel verändert in den vergangenen Jahrzehnten?

Ja, das hat es. Hinsichtlich der Oberflächlichkeit der politischen Auseinandersetzung, aber auch der Kurzfristigkeit der Themen, dieser rasche Themenwechsel. Man geht nicht mehr in die Tiefe. Daran ist einerseits die Politik schuld, weil die Qualität – und das sage ich nicht aus Arroganz – der heutigen Akteure sicherlich abnimmt. Und andererseits ist es ein Problem der Vermittlung, sprich der Medien, die einfach immer schlechter werden. Es fehlt an tiefgehenden Analysen, weil es bei den Printmedien etwa an Zeit und Geld mangelt. Doch auch die elektronischen Medien haben eine gewisse Oberflächlichkeit, hier dominiert die akute, aggressive Meinung. Ich denke aber, dass sich dieser Umstand mit der Zeit verbessern wird.

Alexander Van der Bellen meinte in unserem Interview, dass Veränderungen in Österreich sehr viel Zeit beanspruchen. Sehen Sie das genauso?

Österreich ist ein konservatives Land, das steht außer Frage. Ich würde nicht sagen, dass es reaktionär ist, aber es herrscht ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Veränderungen. So in Richtung: Wenn ich nicht weiß, wohin das führt, dann will ich davon nichts wissen. Diese „Ablehnungsmentalität“ lässt sich vielleicht mit der doch relativ bewegten Vergangenheit Österreichs erklären. Da fehlt einfach noch eine gewisse Sicherheit. Wir sind damals mit einer zwei Drittel Mehrheit der Europäischen Union beigetreten und eine solche Mehrheit wehrt sich heute gegen einen Austritt. Zugleich sind wir aber gegenüber der EU ungemein skeptisch. Es ist ein bisschen schizophren.

Kann eine neue Politiker- und Politikerinnengeneration diesen Umstand ändern?

Die Hoffnung sollte man immer haben. Im Moment kann ich nur erkennen, dass es mehr Bewerber wie etwa die NEOS gibt. Es tauchen neue Listen auf, aber wie nachhaltig das ist, das traue ich mich nicht vorherzusagen. Mehr Wettbewerb ist jedoch immer gut. Zugleich muss aber auch eine Verlässlichkeit bei den Parteien untereinander bestehen, sodass man zu einer Einigung bei politischen Herausforderungen kommt. Das ist ja schlechter geworden, die Regierungskoalition leidet da eindeutig darunter. Aber auch die Opposition. Gemeinsame Positionen zu finden ist sicherlich schwierig, aber notwendig, um weiter zu kommen.

Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen
Bild: Christoph Hopf

Wie bewerten Sie die aktuelle Performance der Bundes-ÖVP?

Die Performance aller Parteien ist gegenwärtig schlecht, das gilt sowohl für die beiden Regierungsparteien als auch für die Opposition. Wobei sich die FPÖ unter Strache derzeit zurücklehnen und hoffen kann, dass es für sie gut ausgeht. Das ist aber keine Performance, denn sie leben bloß von den Fehlern der anderen und das reicht für die Politik nie ganz aus. Aber – Mitterlehner ist eine Verbesserung.

Woran liegt das?

Ich denke, dass die etablierten Parteien nicht mehr wissen, wo sie genau stehen. Und die neuen Parteien sind dabei es herauszufinden, wie etwa die NEOS. Aber das ist sicherlich ein Prozess, der noch dauern wird. Viele agieren einfach opportunistisch, gemäß dem Denken: „wie kann ich die meisten Wähler catchen“. Und da drehen sich die Fahnen dann sehr stark nach dem Wind.

Wie lange funktioniert das Regieren der zwei großen Volksparteien?

Das wird so lange funktionieren, bis es eine Alternative gibt. Ich bin überzeugt, dass die beiden Regierungsparteien bei der nächsten oder übernächsten Wahl die absolute Mehrheit verlieren werden. Die Schwierigkeit liegt darin, dass nicht klar ist, wie eine andere Koalition aussehen kann und davon leben die beiden Parteien sehr stark. Die FPÖ hat sich bislang nicht positionieren können, da hängt ihr die Zeit von Schwarz-Blau noch zu sehr nach.

Wäre die FPÖ in der Lage 2018 Regierungsämter zu besetzen?

Meine Position zur FPÖ ist sehr einfach und die habe ich in einem Satz zusammengefasst: Mit dem Haider ist kein Staat zu machen. Und das obwohl der Haider wesentlich intelligenter war als Strache.

Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen
Bild: Christoph Hopf

Ist Reinhold Mitterlehner die richtige Führungsperson, um die ÖVP wieder an die Spitze zu bringen?

Bislang ist eine eindeutige Verbesserung zu erkennen und daher habe ich derzeit Vertrauen in ihn.

Welche Rolle spielen die christlichen Wurzeln in der heutigen VP-Politik?

So gut wie keine mehr. Das Gros der Lokalpolitiker kommt vielleicht noch aus diesem Dunstkreis. Es hat  unter anderem damit zu tun, dass die katholische Kirche keine wirkliche politische Orientierung mehr hat. Ich hingegen stamme aus einer Zeit, in der die Kirche die Menschen aufgefordert hat, sich politisch zu engagieren. Das gibt es heute nicht mehr.

Woran liegt das?

Das hat einfach mit der Säkularisierung zu tun. Wobei man allerdings sagen muss, dass die gegenwärtige Situation eher wieder in Richtung Grundsatzfrage bzw. hin zur religiösen Orientierung  geht. Damit meine ich bestimmt nicht den „Islamic State“, um den sich manche bemühen. Der ist sicherlich ein entscheidendes globales Phänomen, aber lokal spielt er keine Rolle. Wir haben andere Herausforderungen, wie etwa Fragen rund um die Fortpflanzung oder über das Recht auf den Tod. Diese Fragen haben sehr stark mit dem Woher und Wohin des Lebens zu tun. Das ist auch eine ökologische und sehr moralische Frage: Präservieren wir unseren Globus, um ihn an eine neue Generation weiterzugeben oder nicht? Die ÖVP setzt hier auch viel zu wenige Akzente.

Sie setzen sich seit Jahren für Reformen in der Kirche ein. Sehen Sie hier erste Erfolge?

Eine wirklich positive Veränderung ist sicherlich die Wahl von Papst Franziskus. Ich kann mir nur wünschen, dass er mit der Kurie und dem Vatikan zurechtkommt. Das wäre zumindest seit langem wieder einmal eine religiöse Botschaft, die Akzente setzt. Das hatte bereits Johannes Paul II erreicht, aber dazwischen war eigentlich nicht sehr viel.

Und in Österreich?

Ich glaube die Kirche in Österreich weiß nicht wirklich, wofür sie steht. Zu meiner Zeit gab es so etwas wie Hirtenworte, Erklärungen der Bischofskonferenzen und so weiter. Das ist heute alles so gut wie weg. Der Kirche fehlt einfach der Mut. Eigentlich müssten die Kirche so viele Dinge nachdenklich stimmen. Ich höre immer wieder, dass die Politik uns neue Werte geben muss. Ich sage dann, dass ich schon mit den alten zufrieden bin und meine damit die zehn Gebote. Dann teste ich, wer diese noch kann. Da gewinnt mit großem Abstand das sechste Gebot, alles andere ist dann unsicher. Das heißt, es fehlt bereits ein grundsätzliches Verständnis.

Stichwort „würdevolles Schlagen“. Wurde der Papst missverstanden oder hat er über die Stränge geschlagen?

Da habe ich keine Ahnung, ich habe das nur kurz registriert. Aber es ist, wie vorhin schon angesprochen, eine Charakteristik der Medien, wonach bestimmte Aussagen überbetont werden. Interessant ist, dass er sich im Vergleich zu seinen Vorgängern mehr darum bemüht zeitgemäße Antworten zu finden, als sich in das theologische Wissen zu vertiefen. Ich befürchte, dass die Medien gewissen modischen Aspekten, wie der bereits angesprochenen Oberflächlichkeit, verfallen. Dieser berühmte „Klaps“ spielt in vielen Familien immer noch eine gewisse Rolle. Aber das tut man nicht, das sagt man nicht. Wir haben eine Schizophrenie zwischen dem, was sich gehört und den Wirklichkeiten des Lebens.

Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen
Bild: Christoph Hopf

Kommen wir zur Außenpolitik Österreichs: Nach Michael Spindelegger gibt es mit Sebastian Kurz wohl wieder einen echten Außenminister. Sind Sie zufrieden mit seiner Arbeit?

Ihm verdanken wir, dass wir wieder so etwas wie Außenpolitik haben. Und wir werden auch wieder mehr wahrgenommen, das betrachte ich als sehr positiv. Ein Problem wird sicherlich eines Tages sein, dass man ihn fragen wird, was aus dem geworden ist, wofür er sich eingesetzt hat. Die Politik verlangt sehr wohl auch nach Ergebnissen. Da wünsche ich mir, dass er auf seine Ziele achtet, denn es ist mehr als eine vollmundige Ankündigung, strahlende Besuchsfotos und Handshakes erforderlich.

Wie erklären Sie sich den außenpolitischen Stillstand?

Ich glaube, dass Michael Spindelegger nichts davon verstanden hat, ganz einfach.

Hat Sebastian Kurz das Potential den außenpolitischen Spuren Kreiskys zu folgen?

Außenpolitische Themen benötigen viel mehr Öffentlichkeit in Österreich. Ich behaupte immer die zweite Bundeshymne Österreichs ist von Arik Brauer: „Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts güts nix“. Also die Grundhaltung dieses Landes ist es, sich aus allem herauszuhalten. Das ist nun schon sehr lange der Fall. Die letzte außenpolitische Entscheidung mit innenpolitischer Wirkung, die wir getroffen haben, war der EU-Beitritt.

Wie bewerten Sie den Umgang der Europäischen Union mit Russland?

Dieser Umgang erfolgte zweifelsfrei ohne ein strategisches Konzept. Man hat die Folgeerscheinungen des Zerfalls der Sowjetunion viel zu wenig analysiert und ist den Amerikanern zum Opfer gefallen. Diese meinten, dass Russland marginal sei und die Europäer sich nicht darum kümmern sollten. Hier gab es nie eine gemeinsame Position. Darunter leidet die Ukraine. Ich glaube nicht, dass die meisten Mitgliedsländer wirklich über die Ukraine Bescheid wissen und das erschwert natürlich das Verhältnis zu Russland. Man muss dazu sagen, dass der Auftritt von Vladimir Putin neue, „alte“ Akzente, die an die Sowjetzeit erinnern, setzt. Damit hat keiner mehr gerechnet.

Meine Generation hat sich dem Friedensprojekt EU verschrieben. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es noch einmal zu solchen militärischen Auseinandersetzungen in Europa kommen könnte. Putin ist besonders von seiner Zugehörigkeit zur Sowjetunion und seiner KGB-Vergangenheit geprägt. Er ist ein gewisser Risikofaktor für Russland selbst. Das sieht man auch an den immer noch ausständigen wirtschaftlichen Erfolgen. Das stimmt mich nachdenklich, denn er hatte lange Zeit sehr viel Geld, um hier notwendige Infrastrukturen aufzubauen.

Abschließend, bei wem würden Sie gerne einmal nachhaken?

Das ist eine sehr gemischte Palette an Menschen quer durch Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur. Das ist aber eine sehr lange Liste. Ich hatte nie ein einziges großes Vorbild.

Vielen Dank für das Gespräch!