Erhard Busek: Für was stehen Parteien eigentlich noch?

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Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen (Bild: Christoph Hopf)

Vier Jahre lang führte er die Geschicke der Österreichischen Volkspartei, war Vizekanzler, Wissenschaftsminister und stellvertretender Wiener Landeshauptmann. Erst eine Kampagne der „Kronen Zeitung“ beendete seine parteipolitische Laufbahn und brachte Wolfgang Schüssel an die ÖVP-Spitze. Erhard Busek setzte sich fortan für mitteleuropäische Interessen ein und leitet bis heute das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa. Im Interview spricht der 74-jährige Wiener über die Performance der ÖVP, die Herausforderungen der katholischen Kirche, Europas Russlandpolitik und darüber, warum Kurz der erste richtige Außenminister seit langem ist.

Was hält Sie fit und stark im Leben?

Eine gute Frage. Es war mir immer wichtig Dinge zu tun, die interessant sowie spannend sind und einem etwas im Leben abverlangen. Ich bin ein starker Anhänger von Themenwechseln, das können sie in meiner Karriere genau verfolgen. Ich bin nicht monoman, aber oftmals ergibt sich ein neues spannendes Thema aus dem anderen.

Und gesundheitlich? Treiben Sie viel Sport?

Null. Ich war immer der Meinung Sport ist Mord, oder wie es Winston Churchill zu sagen pflegte: „No sports“. Das hat natürlich seine Nachteile, dafür zahlen Sie einen gewissen Preis. Aber bis jetzt halte ich es ganz gut aus. Solange mein Gehirn funktioniert, bin ich zufrieden.

Gibt oder gab es Momente, wo Sie das tagespolitische Geschäft vermissen?

Nein, die gab es niemals.

Weil?

Das ist je nach Aufgabenstellung verschieden, aber ich habe keine Lust mehr, mich ständig in die Tagespolitik einzumischen. Natürlich gibt es in meiner jetzigen Funktion auch Überschneidungen mit tagespolitischen Themen. Aber ich bin eher grundsatzorientiert, das ist mir auch das Angenehmste.

Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen
Bild: Christoph Hopf

Hat sich in Sachen Tagespolitik viel verändert in den vergangenen Jahrzehnten?

Ja, das hat es. Hinsichtlich der Oberflächlichkeit der politischen Auseinandersetzung, aber auch der Kurzfristigkeit der Themen, dieser rasche Themenwechsel. Man geht nicht mehr in die Tiefe. Daran ist einerseits die Politik schuld, weil die Qualität – und das sage ich nicht aus Arroganz – der heutigen Akteure sicherlich abnimmt. Und andererseits ist es ein Problem der Vermittlung, sprich der Medien, die einfach immer schlechter werden. Es fehlt an tiefgehenden Analysen, weil es bei den Printmedien etwa an Zeit und Geld mangelt. Doch auch die elektronischen Medien haben eine gewisse Oberflächlichkeit, hier dominiert die akute, aggressive Meinung. Ich denke aber, dass sich dieser Umstand mit der Zeit verbessern wird.

Alexander Van der Bellen meinte in unserem Interview, dass Veränderungen in Österreich sehr viel Zeit beanspruchen. Sehen Sie das genauso?

Österreich ist ein konservatives Land, das steht außer Frage. Ich würde nicht sagen, dass es reaktionär ist, aber es herrscht ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Veränderungen. So in Richtung: Wenn ich nicht weiß, wohin das führt, dann will ich davon nichts wissen. Diese „Ablehnungsmentalität“ lässt sich vielleicht mit der doch relativ bewegten Vergangenheit Österreichs erklären. Da fehlt einfach noch eine gewisse Sicherheit. Wir sind damals mit einer zwei Drittel Mehrheit der Europäischen Union beigetreten und eine solche Mehrheit wehrt sich heute gegen einen Austritt. Zugleich sind wir aber gegenüber der EU ungemein skeptisch. Es ist ein bisschen schizophren.

Kann eine neue Politiker- und Politikerinnengeneration diesen Umstand ändern?

Die Hoffnung sollte man immer haben. Im Moment kann ich nur erkennen, dass es mehr Bewerber wie etwa die NEOS gibt. Es tauchen neue Listen auf, aber wie nachhaltig das ist, das traue ich mich nicht vorherzusagen. Mehr Wettbewerb ist jedoch immer gut. Zugleich muss aber auch eine Verlässlichkeit bei den Parteien untereinander bestehen, sodass man zu einer Einigung bei politischen Herausforderungen kommt. Das ist ja schlechter geworden, die Regierungskoalition leidet da eindeutig darunter. Aber auch die Opposition. Gemeinsame Positionen zu finden ist sicherlich schwierig, aber notwendig, um weiter zu kommen.

Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen
Bild: Christoph Hopf

Wie bewerten Sie die aktuelle Performance der Bundes-ÖVP?

Die Performance aller Parteien ist gegenwärtig schlecht, das gilt sowohl für die beiden Regierungsparteien als auch für die Opposition. Wobei sich die FPÖ unter Strache derzeit zurücklehnen und hoffen kann, dass es für sie gut ausgeht. Das ist aber keine Performance, denn sie leben bloß von den Fehlern der anderen und das reicht für die Politik nie ganz aus. Aber – Mitterlehner ist eine Verbesserung.

Woran liegt das?

Ich denke, dass die etablierten Parteien nicht mehr wissen, wo sie genau stehen. Und die neuen Parteien sind dabei es herauszufinden, wie etwa die NEOS. Aber das ist sicherlich ein Prozess, der noch dauern wird. Viele agieren einfach opportunistisch, gemäß dem Denken: „wie kann ich die meisten Wähler catchen“. Und da drehen sich die Fahnen dann sehr stark nach dem Wind.

Wie lange funktioniert das Regieren der zwei großen Volksparteien?

Das wird so lange funktionieren, bis es eine Alternative gibt. Ich bin überzeugt, dass die beiden Regierungsparteien bei der nächsten oder übernächsten Wahl die absolute Mehrheit verlieren werden. Die Schwierigkeit liegt darin, dass nicht klar ist, wie eine andere Koalition aussehen kann und davon leben die beiden Parteien sehr stark. Die FPÖ hat sich bislang nicht positionieren können, da hängt ihr die Zeit von Schwarz-Blau noch zu sehr nach.

Wäre die FPÖ in der Lage 2018 Regierungsämter zu besetzen?

Meine Position zur FPÖ ist sehr einfach und die habe ich in einem Satz zusammengefasst: Mit dem Haider ist kein Staat zu machen. Und das obwohl der Haider wesentlich intelligenter war als Strache.

Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen
Bild: Christoph Hopf

Ist Reinhold Mitterlehner die richtige Führungsperson, um die ÖVP wieder an die Spitze zu bringen?

Bislang ist eine eindeutige Verbesserung zu erkennen und daher habe ich derzeit Vertrauen in ihn.

Welche Rolle spielen die christlichen Wurzeln in der heutigen VP-Politik?

So gut wie keine mehr. Das Gros der Lokalpolitiker kommt vielleicht noch aus diesem Dunstkreis. Es hat  unter anderem damit zu tun, dass die katholische Kirche keine wirkliche politische Orientierung mehr hat. Ich hingegen stamme aus einer Zeit, in der die Kirche die Menschen aufgefordert hat, sich politisch zu engagieren. Das gibt es heute nicht mehr.

Woran liegt das?

Das hat einfach mit der Säkularisierung zu tun. Wobei man allerdings sagen muss, dass die gegenwärtige Situation eher wieder in Richtung Grundsatzfrage bzw. hin zur religiösen Orientierung  geht. Damit meine ich bestimmt nicht den „Islamic State“, um den sich manche bemühen. Der ist sicherlich ein entscheidendes globales Phänomen, aber lokal spielt er keine Rolle. Wir haben andere Herausforderungen, wie etwa Fragen rund um die Fortpflanzung oder über das Recht auf den Tod. Diese Fragen haben sehr stark mit dem Woher und Wohin des Lebens zu tun. Das ist auch eine ökologische und sehr moralische Frage: Präservieren wir unseren Globus, um ihn an eine neue Generation weiterzugeben oder nicht? Die ÖVP setzt hier auch viel zu wenige Akzente.

Sie setzen sich seit Jahren für Reformen in der Kirche ein. Sehen Sie hier erste Erfolge?

Eine wirklich positive Veränderung ist sicherlich die Wahl von Papst Franziskus. Ich kann mir nur wünschen, dass er mit der Kurie und dem Vatikan zurechtkommt. Das wäre zumindest seit langem wieder einmal eine religiöse Botschaft, die Akzente setzt. Das hatte bereits Johannes Paul II erreicht, aber dazwischen war eigentlich nicht sehr viel.

Und in Österreich?

Ich glaube die Kirche in Österreich weiß nicht wirklich, wofür sie steht. Zu meiner Zeit gab es so etwas wie Hirtenworte, Erklärungen der Bischofskonferenzen und so weiter. Das ist heute alles so gut wie weg. Der Kirche fehlt einfach der Mut. Eigentlich müssten die Kirche so viele Dinge nachdenklich stimmen. Ich höre immer wieder, dass die Politik uns neue Werte geben muss. Ich sage dann, dass ich schon mit den alten zufrieden bin und meine damit die zehn Gebote. Dann teste ich, wer diese noch kann. Da gewinnt mit großem Abstand das sechste Gebot, alles andere ist dann unsicher. Das heißt, es fehlt bereits ein grundsätzliches Verständnis.

Stichwort „würdevolles Schlagen“. Wurde der Papst missverstanden oder hat er über die Stränge geschlagen?

Da habe ich keine Ahnung, ich habe das nur kurz registriert. Aber es ist, wie vorhin schon angesprochen, eine Charakteristik der Medien, wonach bestimmte Aussagen überbetont werden. Interessant ist, dass er sich im Vergleich zu seinen Vorgängern mehr darum bemüht zeitgemäße Antworten zu finden, als sich in das theologische Wissen zu vertiefen. Ich befürchte, dass die Medien gewissen modischen Aspekten, wie der bereits angesprochenen Oberflächlichkeit, verfallen. Dieser berühmte „Klaps“ spielt in vielen Familien immer noch eine gewisse Rolle. Aber das tut man nicht, das sagt man nicht. Wir haben eine Schizophrenie zwischen dem, was sich gehört und den Wirklichkeiten des Lebens.

Erhard Busek: Parteien wissen nicht mehr, wofür sie wirklich stehen
Bild: Christoph Hopf

Kommen wir zur Außenpolitik Österreichs: Nach Michael Spindelegger gibt es mit Sebastian Kurz wohl wieder einen echten Außenminister. Sind Sie zufrieden mit seiner Arbeit?

Ihm verdanken wir, dass wir wieder so etwas wie Außenpolitik haben. Und wir werden auch wieder mehr wahrgenommen, das betrachte ich als sehr positiv. Ein Problem wird sicherlich eines Tages sein, dass man ihn fragen wird, was aus dem geworden ist, wofür er sich eingesetzt hat. Die Politik verlangt sehr wohl auch nach Ergebnissen. Da wünsche ich mir, dass er auf seine Ziele achtet, denn es ist mehr als eine vollmundige Ankündigung, strahlende Besuchsfotos und Handshakes erforderlich.

Wie erklären Sie sich den außenpolitischen Stillstand?

Ich glaube, dass Michael Spindelegger nichts davon verstanden hat, ganz einfach.

Hat Sebastian Kurz das Potential den außenpolitischen Spuren Kreiskys zu folgen?

Außenpolitische Themen benötigen viel mehr Öffentlichkeit in Österreich. Ich behaupte immer die zweite Bundeshymne Österreichs ist von Arik Brauer: „Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts güts nix“. Also die Grundhaltung dieses Landes ist es, sich aus allem herauszuhalten. Das ist nun schon sehr lange der Fall. Die letzte außenpolitische Entscheidung mit innenpolitischer Wirkung, die wir getroffen haben, war der EU-Beitritt.

Wie bewerten Sie den Umgang der Europäischen Union mit Russland?

Dieser Umgang erfolgte zweifelsfrei ohne ein strategisches Konzept. Man hat die Folgeerscheinungen des Zerfalls der Sowjetunion viel zu wenig analysiert und ist den Amerikanern zum Opfer gefallen. Diese meinten, dass Russland marginal sei und die Europäer sich nicht darum kümmern sollten. Hier gab es nie eine gemeinsame Position. Darunter leidet die Ukraine. Ich glaube nicht, dass die meisten Mitgliedsländer wirklich über die Ukraine Bescheid wissen und das erschwert natürlich das Verhältnis zu Russland. Man muss dazu sagen, dass der Auftritt von Vladimir Putin neue, „alte“ Akzente, die an die Sowjetzeit erinnern, setzt. Damit hat keiner mehr gerechnet.

Meine Generation hat sich dem Friedensprojekt EU verschrieben. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es noch einmal zu solchen militärischen Auseinandersetzungen in Europa kommen könnte. Putin ist besonders von seiner Zugehörigkeit zur Sowjetunion und seiner KGB-Vergangenheit geprägt. Er ist ein gewisser Risikofaktor für Russland selbst. Das sieht man auch an den immer noch ausständigen wirtschaftlichen Erfolgen. Das stimmt mich nachdenklich, denn er hatte lange Zeit sehr viel Geld, um hier notwendige Infrastrukturen aufzubauen.

Abschließend, bei wem würden Sie gerne einmal nachhaken?

Das ist eine sehr gemischte Palette an Menschen quer durch Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur. Das ist aber eine sehr lange Liste. Ich hatte nie ein einziges großes Vorbild.

Vielen Dank für das Gespräch!