Sie war mehr als zehn Jahre in Österreichs Wirtschaft als Journalistin unterwegs. Jetzt möchte Silvia Jelincic neu durchstarten. Mit der im Herbst 2014 gestarteten Blogplattform „fisch + fleisch“ sorgte sie innerhalb weniger Wochen für Aufsehen. Österreichs soziale Medien standen auf dem Kopf. Im Interview spricht sie über die selbst ernannten Tugendwächter der Alpenrepublik, die besondere Beziehung von Menschen zu Pflanzen und einem Termin bei Christoph Dichand.
Muss ein in Österreich gestartetes Medienprojekt provozieren, um wahrgenommen zu werden?
Puh, Sie stellen Fragen (lacht). Jeder Mensch nimmt Provokationen anders wahr. Erst jüngst bloggte jemand auf unserer Plattform über das Thema Homöopathie. Für Leute, die absolut nicht daran glauben, war der Beitrag extrem provokant. Daraus hat sich eine fast endlose Diskussion ergeben. Also ja, es ist wohl notwendig.
Neue digitale Projekte sorgen in Österreich für viel Aufsehen. Steckt der Journalismus hierzulande in einer Krise?
Ja, ich denke schon. Sehr viele Menschen in dieser Branche nehmen sich zu wichtig. Es gibt so viele Tugendwächter in unserem Land. Sie glauben, dass sie die Wahrheit gepachtet haben und nur sie wissen, wie es geht. Diese Zeiten sind aber vorbei. Die Leute sollten sich ein wenig zurücklehnen und über den Tellerrand schauen. International hat sich so viel verändert, wir alle müssen uns weiterentwickeln. Es schockiert mich immer wieder, wie anerkannte Meinungsbildner über uns herziehen, die Art, wie sie es tun, schockiert mich. Diese selbst ernannten Tugendwächter wollen anderen vorschreiben, was geht und was nicht. Aber das sollte jede und jeder für sich entscheiden können. Offenheit und echte Toleranz sind enorm wichtig, vor allem in unserer Medienbranche. Und dafür trete ich ein. Auch wenn es blöd klingt, da bin ich Conchita.
Wie haben Sie reagiert, als sich Armin Wolf sehr kritisch auf Twitter zu Wort gemeldet hat?
Ich nehme ihn natürlich ernst, so wie ich prinzipiell jeden ernst nehme. Was mich aber enttäuscht hat, wie er kommentiert hat – gehässig. Das hätte ich mir von einem Menschen mit einem sonst hohen Niveau nicht erwartet. Ich gebe zu, dass ich sehr emotional und wenig feinfühlig reagiert habe, vermutlich war ich ebenso gehässig und sogar noch schlimmer als er. Bei der Kritik von Armin Wolf ging es einmal um den Text von Josef Zotter, einem wirklich coolen und sehr offenen Typen. Er hat darin ein Gedankenspiel diskutiert, wonach es nur eine einzige Steuer, nämlich die Konsumsteuer, geben sollte. Diese scharfe Kritik von Armin Wolf, die hat mich schockiert. Lasst doch sein Gedankenspiel zu, wie absurd es einem selbst auch erscheinen mag. Das ist Toleranz. Gleich zu sagen, alles ist scheiße und alles ist schlecht, genau deshalb haben wir diese Probleme. Diese Angst vor Veränderung, vor Dingen, die anders sind. Es klingt vielleicht abgedroschen, aber ich liebe Menschen. Und ich möchte jedem die Freiheit erlauben, über das zu schreiben, was er möchte, solange es nicht gegen geltendes Recht verstößt.
Wie erklären Sie sich die recht überschaubare Blog-Sphäre in Österreich?
Das Problem ist, dass viele davon nicht leben können. Wenn jemand nebenbei gut verdient, dann wird er mit seinem Blog sicher wahrgenommen, dann ist es egal, er braucht das Geld nicht, aber wenn nicht, dann wird es schwierig. Und so geht es vielen in Österreich, der Schweiz und auch Deutschland. Es ist viel schwieriger, den notwendigen Traffic in einem so kleinen Land zu generieren. Aber es ist definitiv im Kommen, davon bin ich überzeugt. Mir haben viele Leute erzählt, dass sie durch unsere Plattform viele neue Leser für ihren eigenen Blog gewonnen haben. Das freut mich natürlich ungemein. Das möchten wir auch weiter pushen und mehr Raum in den neuen User-Profilen schaffen, sodass sie ihre eigenen Plattformen bewerben können. Es geht um einen Mehrwert für alle und nicht um „meine“ Leser. Was etwa Christian Rainer mit dem „profil“ im Internet aufführt. Ich schätze ihn sehr, ein intelligenter Kerl, aber das wird ihn überrollen. Er ist wie ein Dinosaurier. Schade um so einen klugen Kopf. Dieses Klammern an alte Medienstrukturen sollte aufhören.
Welches Ziel verfolgen Sie mit „fisch + fleisch“?
Natürlich soll sich ein Traum für uns verwirklichen, also dass wir richtig groß werden. Eine große Community mit interessanten Beiträgen, wo jeder schreiben kann, was ihm/ihr wichtig ist. Egal, ob Politik, Wirtschaft, Soziales oder Privates. Wir werden uns bemühen, unseren Usern das zu bieten, was sie dafür benötigen. Erst vor wenigen hatten wir an einem Tag wieder über 10.000 Besucher auf der Plattform, das hat mich umgehauen. Wir sind ja noch in der Testphase und bereiten jetzt die Umstellung auf das neue Design vor. Die Plattform wird deutlich klarer und strukturierter aussehen. Dann kommt das Geld vom Investor und wir werden einiges in unterschiedliche Werbemaßnahmen investieren. In nächster Zeit kommen noch einige bekannte Blogger aus Deutschland dazu.
Wohl kaum ein Medium auf der Welt hatte so schnell ein satirisches Gegenstück.
(lacht) Ich liebe „Grammeln + Schmalz“.
Warum regen sich alle so auf?
Weil sie sich nicht bestätigt sehen. Auch ich muss mich manchmal ärgern, weil jemand nicht meiner Meinung ist. Und genau das ist das Problem. Auch wenn es für mich vielleicht absurd und fahrlässig ist, wenn jemand seine Kinder nicht impfen lassen will, ist es nun einmal seine/ihre Meinung. Auch wenn es uns nicht passt. Und diese andere Meinung ist natürlich gesetzlich zulässig. Wir haben erst vor kurzem wieder einen geblockt, weil er ständig ausländerfeindliche Dinge auf unserer Plattform gepostet hat. Da passen wir natürlich auf. Und wenn wir einmal etwas übersehen, dann bitte einfach den „Beitrag melden“ Button klicken, und wir kümmern uns darum.
Ist diese Angewohnheit sich aufzuregen etwas Spezifisches für Österreich?
Na ja, natürlich sind Länder wie die USA oder Großbritannien viel offener für solche Medienprojekte. Aber auch hier bei uns gibt es mittlerweile eine sehr offene junge Szene und auch die ältere Zielgruppe ist sehr interessiert. Ich dachte, uns klicken die 20-jährigen Leser an, aber nein sie sind eher 30+. Ich finde halt dieses ständige Vorverurteilen einfach unnötig.
Ihr Logo erinnert an einen Fisch, der in ein Hinterteil beißt. Hat Ihnen das schon jemand gesagt?
Jetzt werden alle Tugendwächter, die mich so gerne kritisieren, ziemlich glücklich sein und viele werden mir schreiben, dass sie es schon immer gewusst haben: „Ich bin eine Verschwörungstheoretikerin – puh!“ Also: Es gibt einen jungen Mann, der bereits mit zirka 20 Jahren Chefdesigner bei XXL Lutz war und danach Einrichtungen für zahlreiche Yachten von Oligarchen entwarf. Er ist ein Freak. Danach hat er sich selbstständig gemacht, um sein eigenes Ding durchzuziehen. Und er hat unser Logo gemacht. Er ist überzeugt von der Kraft der Formen, wie sie einst von Leonardo Da Vinci geprägt wurden, das sagt er zumindest. Er benutzte die Fischblase, weil sie eben ein solches altes Symbol ist. Und ich solle daran glauben. Ich weiß nicht, ob ich daran glaube, aber nutzt’ nix, schad’s nix. Also muss man sich diesen Popo zu Ende denken, um die Fischblase zu erkennen. Er meinte, das kann nur ein Erfolgslogo sein, wie etwa das von Chanel oder Mastercard, die haben auch so Formen. Also, Achtung Verschwörung, böse Esoterik (lacht).
Möchten Sie etablierten Medien in Österreich in den Hintern beißen?
Das war nicht mein Anspruch, also irgendjemandem etwas zu beweisen. Es ist mir so was von wurscht. Ob die da oben es geil finden oder nicht, ist mir egal.
Helge Fahrnberger fragte auf Twitter, warum so viele Menschen bei Ihnen bloggen.
Helge Fahrnberger, dieser Medien-Mann? Ich glaube, weil sie sehen, dass es an der Zeit ist für ein offenes Produkt, das den Leuten die Möglichkeit zur Mitsprache ermöglicht. Jeder kann sich selbst positionieren und die Leute finden diese Vielfalt sehr gut. Sei es Anneliese Rohrer oder Susanne Scholl, diese Großen sind begeistert. Es ist uns bislang niemand abgesprungen, niemand von den Schreibern hat uns verurteilt. Ich danke dem Herrn Fahrnberger, weil er sehr viele Klicks generiert hat. Dieses Bashing ist fantastisch, weil es uns viele Leser und vor allem Registrierungen gebracht hat. Scheinbar brauchen wir das öfter (lacht).
Haben Sie jemals mit Eva Dichand über die Finanzierung von f+f gesprochen?
Nein, aber mit Christoph Dichand. Wenn schon ein Gerücht, dann bitte richtig. Eines vorweg: Er ist nicht beteiligt, und die „Krone“ auch nicht, aber es hat Gespräche gegeben. Ich hatte ihn kontaktiert, weil ich eine Kooperation mit der Krone wollte, so wie wir sie auch mit „Vienna Online“ oder „ATV“ haben. Beim Gespräch zeigte sich, dass er an einer Beteiligung der Krone Interesse hätte, was wir als große Ehre empfanden. Wir haben jetzt eine „normale“ Kooperation, ohne Beteiligung, und haben uns schließlich für einen Investor entschieden, Günter Kerbler, der uns unter anderem zusagte, dass er sich nicht in das Tagesgeschäft einmischt. Uns ist Unabhängigkeit sehr wichtig, ich will einfach nicht, dass mir da Leute hineinreden. Jeder der mich kennt, weiß: Ich bin stur und kein einfacher Mensch.
Welche Schlagzeile über f+f wollen Sie im Jahre 2020 lesen?
Fisch + Fleisch: Aus einer kleinen… (lacht). Eine Headline zu finden, ist schwierig, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber es geht uns darum, viel Platz für viele Anliegen zu schaffen. Bei uns soll man alles sagen dürfen, was einen beschäftigt. Vielleicht eine Schlagzeile in etwa „Neue Maßstäbe für Offenheit und Toleranz“. Wäre schön, wenn es gelingt. Wir reden da natürlich immer innerhalb des rechtlich Zulässigen, aber warum soll es nicht okay sein, wenn jemand mit seinen Pflanzen spricht? Muss ich dem gleich sagen, dass er ein Trottel ist? Menschen sollten erkennen, dass jeder seine ganz persönlichen Wahrheiten hat.
Abschließend, bei wem würden Sie gerne einmal nachhaken?
Bei Ihnen, ja wirklich.
Ja, gerne.
Kommt noch, auf fisch + fleisch (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch!