Maria Vassilakou: Ich bin kein antikes Klageweib auf alle Ewigkeit

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Maria Vassilakou: Ich bin kein Klageweib auf alle Ewigkeit (Bild: Martin Juen)

Unter ihrer Führung gelang es den Grünen erstmals Teil einer Wiener Regierung zu sein. Maria Vassilakou hat in den vergangenen Jahren viele grüne Themen umgesetzt: von der Erweiterung der Parkraumwirtschaft über günstige Verkehrstickets bis hin zum Großprojekt Mariahilfer Straße. Nur wenige Tage nach dem überraschenden Wechsel von Senol Akkilic zur SPÖ und einer damit einhergehenden Blockade der Wahlrechtsreform spricht Wiens Vizebürgermeisterin erstmals ausführlich über den großen Vertrauensbruch. Weitere Themen des Interviews sind grüne Errungenschaften in der Hauptstadt, eine Koalition mit der FPÖ, politische Visionen und wie Mark Twain ihr über die Causa Akkilic hinweghilft.

Wie viel Vertrauen haben Sie noch in die SPÖ?

Für unsere Vision ist die Frage des Vertrauens eine sehr zentrale: Wir wollten, dass Rot-Grün ein funktionierendes Modell für eine Politikerneuerung in ganz Österreich wird. Davon sind wir aktuell aber leider weit entfernt. Vielleicht ist genau das der Grund für mein blankes Entsetzen in den letzten Tagen. Ich habe in den vergangenen Jahren tatsächlich an den Versuch geglaubt, dieses klassische Hickhack in der Politik und diese Kurzsichtigkeit des parteipolitischen Denkens zu überwinden. Mein Wunsch war, dass sich unsere zwei Parteien, die natürlich sehr unterschiedlich sind, auf das Wesentliche konzentrieren. Ich dachte es wäre möglich eine gemeinsame Mission zu formulieren, um den Stillstand zu überwinden, viel Neues zuzulassen und den Fokus auf soziale Gerechtigkeit und ökologische Projekte zu legen.

Und wir haben auch sehr viel davon geschafft, etwa die Neuerrichtung von Gemeindebauten, die Erweiterung der Parkraumbewirtschaftung, die höchste Mindestsicherung Österreichs für Kinder und Jugendliche, billigere Tickets für öffentliche Verkehrsmittel bis hin zur Fußgängerzone Mariahilferstraße. Diese Projekte verändern nicht nur die Stadt, sondern auch den Alltag der Menschen, und zwar zum Besseren. Und da schließt sich für mich der Kreis. Ich dachte, dass wir einen gemeinsamen Zugang haben. Dann kam dieses bitterböse Erwachen rund um den Abgang von Senol Akkilic und das finde ich einfach nur sehr schade. Zugegeben, es fällt mir gerade schwer zu jener Art von Politik zurück zu finden, die ich vorhin beschrieb.

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Treffen mit Senol Akkilic?

Ich kenne ihn schon so lange, dass ich ehrlich gesagt keine konkrete Erinnerung an das erste Treffen habe. Es muss aber weit über 20 Jahre zurückliegen. Als ich zu den Grünen kam, waren wir gerade zwei von drei Migrantinnen und Migranten. Soviel sei dazu gesagt.

Glauben Sie, dass Sie sich jemals mit ihm versöhnen werden?

Ich wüsste nicht, was es bringen sollte.

Maria Vassilakou: Ich bin kein Klageweib auf alle Ewigkeit (Bild: Martin Juen)
Bild: Martin Juen

In den sozialen Medien sind Vorwürfe des Machterhalts laut geworden. Wie stehen Sie dazu?

Es geht nicht um einen Machterhalt, genau das ist der große Irrtum. Ich verstehe die Emotionen der Menschen, die sagen, das kann man sich nicht gefallen lassen. Das tut man eigentlich auch nicht. Wenn wir jetzt aber beleidigt oder gekränkt das Feld räumen, was haben wir dann erreicht? De facto sind es nur noch drei Monate bis zur Sommerpause und danach befinden wir uns bereits mitten in der heißen Phase des Wahlkampfs. Wie absurd wäre es diese wenigen Monate nicht dazu zu nützen, die Projekte, die uns sehr am Herzen liegen, voranzutreiben? Und wie absurd wäre es die Stadt einer im Machtrausch befindlichen SPÖ zu überlassen? Wir sind doch alle zu den Grünen gegangen, um zu kämpfen. Und kämpfen heißt nicht „es reicht“ zu sagen. Der Letzte, der das gesagt hat, war Wilhelm Molterer und was dann kam, das will ich nicht haben (lacht).

Alexander Van der Bellen kritisierte in unserem Interview, dass die Grünen einen Notariatsakt in Bezug auf die Wahlrechtsreform unterschrieben haben. War das ein Fehler?

Diese Einschätzung von ihm teile ich nicht ganz. Was ich nie wieder tun würde, ist eine derart peinliche Inszenierung mitzumachen. Doch der Kampf um ein faires und neues Wahlrecht in Wien geht ja viel weiter zurück, bis in die späten 1990er. Damals hatte sich die SPÖ dieses für sie förderliche Wahlrecht zurechtgezimmert. Und mit Sicherheit hat das dazu geführt, dass die SPÖ danach immer wieder mit weniger als 50% der Stimmen die Absolute erreichen konnte. Diese Ungerechtigkeit möchte ich seit meiner aktiven Zeit als Gemeinderätin 1996 beseitigen. Denn die Art und Weise, wie Parteien mit der Macht umgehen hängt auch davon ab wie sie überhaupt an die Macht kommen. Billige Macht kann sehr schnell missbraucht werden. Das bleibt nicht unbemerkt und führt unter anderem zu der weit verbreiteten Politikverdrossenheit. Und das ist mit Schuld daran, dass die Sozialdemokratie europaweit gerade erodiert. Was mich zu der Frage des Machterhalts zurückbringt: Den Teufel werde ich tun, diesen Kampf gegen Ungerechtigkeit aufzugeben!

Was würden Sie bei einer eventuellen Koalitionsneuauflage anders machen, um die Wahlrechtsreform doch noch durchzubringen?

Ich fürchte, da hat die SPÖ die Tür zum Kompromiss geschlossen. Hätte die SPÖ wirklich einen ehrlichen Kompromiss angestrebt, dann hätten wir ihn auch erreicht. Auch wenn wir damit keine perfekte Lösung erzielt hätten, im Leben ist selten etwas perfekt. Mit ihrer  skrupellosen und unehrlichen Art hat die SPÖ es geschafft,  das Kapitel  Wahlrechtsreform vorerst zu beenden. Und mit wem die SPÖ auch immer nach der Wahl verhandelt, keine Partei, die dieses Schauspiel vom vergangenen Freitag (27. März 2015) erlebt hat, wird es ignorieren können. Diesen Stil und diese „Allmachtdemonstration“ vergessen auch die Wählerinnen und Wähler nicht, da bin ich sicher. Und ich gehe von einem Wahlergebnis aus, dass der SPÖ einige Verluste aufgrund dieses Verhaltens einbringen wird. Und das war es dann auch. Ich möchte kein antikes Klageweib auf alle Ewigkeit sein, ich bin nicht Elektra (lacht). Mir ist es wichtiger Projekte voranzutreiben, wie etwa eine verkehrsberuhigte Zone in allen Bezirken Wiens, faire Mieten in den Altbauten und eine Kindergartengarantie für jedes Kind ab zwei. Und wenn die SPÖ wie sie jetzt ist, die Krot‘ ist, die ich dazu schlucken muss, dann schluck ich sie.

Maria Vassilakou: Ich bin kein Klageweib auf alle Ewigkeit (Bild: Martin Juen)
Bild: Martin Juen

Können Sie sich eine Koalition mit Blau-Schwarz bzw. NEOS vorstellen?

Nein, denn dazu würde die FPÖ gehören und das ist für mich undenkbar. Mit einer solchen reaktionären und faschistoiden Kraft ist ein gemeinsames Regieren nicht möglich. Anders denkt hingegen die SPÖ, die den von Spindoktoren inszenierten Kampf um Wien hochstilisiert, aber genau weiß, dass sie von der FPÖ nicht aus dem Amt gejagt werden kann. Denn es gibt ja bereits einige rot-blaue Gemeinden. Aber da geht es natürlich auch um Stimmenmaximierung. Jedes Kind in Wien weiß, dass der Strache hier nie etwas werden wird. Diese Vermittlung eines Bedrohungsszenarios, wonach sich alle sinisteren Kräfte zusammentun, ist lächerlich. Starke Grüne sind der Garant dafür, dass keine andere Mehrheit ohne SPÖ regieren kann.

Blicken wir zurück auf die vergangenen fünf Jahre. Sind Sie zufrieden? Mehr als 130 000 Wiener Alleinerzieherinnen leben in Armut. Wie kann so etwas passieren?

Wir leben noch immer in einer Gesellschaft, wo Mädchen leider in Klischees gepresst werden. Dazu kommt eine Schul- und Bildungspolitik, die ebenfalls zu wenig Bedacht darauf nimmt, das klassische Bild des Mannes als Erhalter der Familie und der Frau als Mutter zu durchbrechen. Das führt dazu, dass viele junge Frauen nach der Geburt ihrer Kinder viele Jahre auf ihre Arbeit verzichten. Das kombiniert mit der Scheidungsstatistik ist die größte Armutsfalle, in die junge Frauen tappen. Arbeitslos und zwei kleine Kinder an der Hand, das war‘s. Damit einhergehend ist eine vermeintlich lebenslange Abhängigkeit von einem Mann, der vielleicht Alimente bezahlt oder auch nicht.

Haben die Grünen hier zu wenig gemacht?

Die Grünen haben in ihrer ersten Legislaturperiode ihren Schwerpunkt auf Sozialpolitik gelegt, daher auch die bereits erwähnte höchste Kindermindestsicherung. Und das ist zumindest eine Antwort. Ich gebe zu, dass das eher eine Symptombekämpfung als eine Ursachenbeseitigung ist. Ich verspreche aber in den kommenden Jahren unseren Schwerpunkt auf Kinderbetreuung im Kindergarten und in der Schule zu legen. Wenn ich Rahmenbedingungen für junge Frauen schaffe, die es ermöglichen, die ersten Jahre nach der Geburt optimal für sich zu gestalten, dann ist das die bestmögliche Frauenpolitik. Es ist verantwortungslos, dauernd zu betonen wie wichtig Frauenförderung ist, aber gleichzeitig das System der Kinderbetreuung nicht so zu gestalten, dass
junge Frauen tatsächlich die Möglichkeit haben, in ihrem Berufsleben keine Abstriche machen zu müssen. Deswegen brauchen wir eine Kindergartenplatzgarantie.

Maria Vassilakou: Ich bin kein Klageweib auf alle Ewigkeit (Bild: Martin Juen)
Bild: Martin Juen

Wie sind Sie mit dem Zusammenleben in Wien zufrieden?

Zufrieden sollte man niemals sein. Im Vergleich zu anderen Städten in Europa steht Wien jedoch sehr gut da. Wichtig war vor allem, dass die Mieten in den gründerzeitlichen Wohnungen lange Zeit günstig waren. Somit konnte einer Ghettoisierung wie etwa in den Vororten Paris sehr gut entgegengewirkt werden. Zuwanderinnen und Zuwanderer konnten sich über eine lange Zeit, verteilt über das gesamte Stadtgebiet, vor allem innerstädtisch, sehr gut niederlassen. Das ist ein zentraler Erfolgsfaktor für den sozialen Frieden in unserer Stadt. Es gibt aber auch bei uns noch viele Verbesserungsmöglichkeiten, wie etwa in den Schulen.

Es liegt auf der Hand, dass sich das Schulsystem bei mehr als 50% an Kindern mit Migrationshintergrund radikal ändern muss. Jedes Kind soll bei der Einschulung ausreichend Deutsch können, um dem Unterricht optimal folgen zu können. Die Mehrsprachigkeit ist aber keine Last, sondern eine Chance, in die man investieren muss. Von dieser Art von Schule sind wir aber leider sehr weit entfernt. Scheitert ein Kind bereits in der Volksschule, erben wir einen frustrierten Jugendlichen, der sich irgendwann zu einem „Druckkochtopf“ entwickelt, der eines Tages explodiert. Gnade Gott demjenigen, der dann in der Nähe ist. Vor diesem Hintergrund kann man sehen, wie und woher die Beute für Hassprediger und Radikalisierung kommt.

Was ist ihr persönliches Ziel für die Wahl 2015?

Das bestmögliche grüne Wahlergebnis zu erzielen, wobei ich denke, dass 15 Prozent eine sehr gute Basis für Grüne in der Regierung wären. Und ich will die Grünen in die nächste Regierung führen.

Maria Vassilakou: Ich bin kein Klageweib auf alle Ewigkeit (Bild: Martin Juen)
Bild: Martin Juen

Wird es jemals eine Wiener Bürgermeisterin Vassilakou geben?

(lacht) Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich wäre nicht gern Bürgermeisterin von Wien. Aber ich fürchte die absolute Mehrheit wird sich bei der nächsten Wahl noch nicht einstellen.

Abschließend, bei wem würden Sie gerne einmal nachhaken?

Mark Twain. Er war ein unglaublich brillanter Geist, ein politisch sehr versierter und bewegter Mensch. Ein Philosoph im wahrsten Sinne des Wortes. Und ein Revoluzzer. Er spendet mir bis heute noch ein Trost, wie etwa am vergangenen Freitag, als mir einfiel: „When we remember we are all mad, the mysteries disappear and life stands explained.”

Vielen Dank für das Gespräch!