Er gilt europaweit als einer der führenden Experten zu den Themen Islamophobie und islamisch-politisches Denken. Seit 2010 publiziert Farid Hafez das bilinguale Jahrbuch für Islamophobieforschung, dem nun erstmals ein europäischer Bericht folgt. Der studierte Politologe ist regelmäßiger Gast in den österreichischen und internationalen Medien und forscht an den Universitäten in Wien und Salzburg. Im Interview spricht er darüber, wie der Unterschied zwischen Phobie und Kritik aussieht, welche Maßnahmen die Politik ergreifen kann und ob ein Vergleich mit Antisemitismus sinnvoll ist.
Wo ziehen Sie die Trennlinie zwischen Islamophobie und Kritik am Islam bzw. an MuslimInnen?
Eine Kritik ist dann nicht rassistisch bzw. islamophob, wenn sie sich gegen eine konkrete Handlung einer Person, die sich selbst in ihrer Tat auf den Islam als Religion bezieht, richtet, und nicht in eine Verallgemeinerung abdriftet. Man kann dann von Islamophobie sprechen, wenn Personen oder Gegenstände aufgrund einer realen oder angenommenen Zugehörigkeit zum Islam generalisierend negative Eigenschaften zugesprochen werden.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen…
Konkret sehen wir das etwa am Beispiel der Debatte über die sogenannten islamischen Kindergärten: Eine konkrete Handlung zu kritisieren, weil diese Handlung beobachtet wurde, ist legitim. Ein Generalverdacht gegenüber jedem von MuslimInnen geführten Kindergarten zu streuen, weil sie aufgrund ihrer Religion als Extremismus-affin gesehen werden, ist hingegen klar islamophob.
Ihr aktueller Bericht über das Phänomen Islamophobie wurde in 25 europäischen Staaten erhoben. Haben Sie mit diesem deutlich negativen Ergebnis gerechnet?
Als der Bericht geplant wurde, war die Situation eine völlig andere. Die sogenannte Flüchtlingskrise war tagespolitisch nicht aktuell. Charlie Hebdo war gerade passiert, aber die weiteren Anschläge, besonders jener in Paris, lagen noch im Unbekannten. Es ist bezeichnend für das Jahr 2015, dass quer über ganz Europa die Pariser Anschläge wie auch die sogenannte Flüchtlingskrise die Stimmung gegenüber Muslimen in ganz Europa prägte. Das gilt auch für all jene Länder, in denen kaum Muslime leben.
Gab es bei Ihrer empirischen Studie auch positive Überraschungen?
Es gibt Bemühungen in eine diskriminierungsfreiere Gesellschaft. Die Niederlande sind da vermutlich am progressivsten. Dennoch gilt unter dem Strich: Die Situation spitzt sich zu. Das gilt sowohl für einen offenkundig aggressiveren Sprachgebrauch im politischen Raum wie auch für einen subtileren, weniger öffentlich wahrnehmbaren institutionalisierten Rassismus gegenüber Muslimen.
In einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“ bezeichnen Sie Ihren Bericht als Hilfsstellung für die Politik. Wie darf man sich das konkret vorstellen?
Jeder der 25 Länderberichte endet mit konkreten Empfehlungen für Politik und Zivilgesellschaft. Das Ziel des „European Islamophobia Report“ besteht nicht darin, Zustände zu kritisieren, sondern diese Situation zu verbessern. Schließlich ist das Projekt von dem Gedanken getragen, dass die Islamophobie in erster Linie schlecht für die demokratischen Staaten Europas selbst und damit für alle Menschen, die darin wohnen, ist. Die Islamophobie richtet sich nur vordergründig gegen die imaginierten Muslime, in erster Linie aber gegen die breite Gesellschaft.
Was wären drei konkrete Maßnahmen, um die grassierende Islamfeindlichkeit in den Griff zu bekommen?
Erstens sollte Hasskriminalität gegenüber Muslimen als ein Delikt anerkannt werden. Hier geht es darum, dass der Rassismus gegen Muslime in den meisten europäischen Staaten nicht als eigene Kategorie erfasst wird. Dass dem nicht so ist, reflektiert zu einem gewissen Grad die Perzeption der Eliten gegenüber diesem Phänomen. Es braucht zudem mutigere Politiker, die eine klare Position zu der offenen Islamophobie in den europäischen Gesellschaften einnehmen. Das hat auch viel mit dem Selbstbild zu tun. Es fehlt ein deutlicheres Bekenntnis zu einem offenen und vielfältigen Europa. In Wirklichkeit ließe sich sagen, es braucht ein Bekenntnis zur Realität und dazu, dass Menschen in dieser Realität als Gleiche leben können. Im Hinblick auf die scheinbar unmittelbar betroffenen Muslime ließe sich eine wichtige Empfehlung aus meiner Sicht geben: es bedarf einer stärkeren kritischen Reflexion dominanter Diskurse, um einerseits aus der Verteidigungshaltung heraustreten zu können und andererseits sein Mensch-Sein zurückzuerlangen.
In Österreich führt die FPÖ aktuell in allen Nationalratswahl-Umfragen. Inwiefern würde bei einem Wahlsieg der islamophobe Populismus in die Realpolitik einziehen?
Eine Frage, die sich schwer beantworten lässt. Vermutlich wäre eine Regierung unter freiheitlicher Mitwirkung eines HC Strache eine andere als unter Jörg Haider. Aber das gilt auch für die ÖVP unter Schüssel vs. ÖVP heute. Ich erinnere an dieser Stelle an einen beinahe prophetischen Vers der österreichischen Hip Hop-Gruppe Schönheitsfehler aus dem Jahre 1993: „Blau – Blau – Blau besorgt die Ausländerhetze / Rot-Schwarz sorgt für die entsprechenden Gesetze.“ Mit dem Islamgesetz 2015 ließe sich fragen: Bedarf es überhaupt einer FPÖ-Beteiligung, um problematische Gesetze in Hinblick auf islamophobe Inhalte zu beschließen?
Oftmals als provokant bezeichnet, mehren sich im wissenschaftlichen Spektrum Vergleiche zwischen heute und den frühen 30-er Jahren. Handelt es sich dabei um eine überzogene Einschätzung?
Dieser Vergleich – und vergleichen bedeutet nicht gleichsetzen – schmerzt all jene, die genau diese Ähnlichkeit erkennen. Wenn es heute unter Strache „Wien darf nicht Istanbul werden“ heißt, muss man darauf hinweisen, dass es unter Lueger „Groß-Wien darf nicht Groß-Jerusalem werden“ hieß. Und wenn auf den Mauern des KZ-Mauthausen steht: „Was unseren Vätern war der Jud, ist uns die Moslembrut“ steht, ist selbst die Vernichtungsphantasie des völkischen Antisemitismus in eine Denklinie mit der zeitgenössischen Ausmachung der Figur des bösen Muslim gestellt. Das bedeutet aber nicht, dass die Situation der Muslime heute ident mit jener der Juden in den 1930er Jahren wäre.
Ohnehin erzählen uns weder Antisemitismus, noch Islamophobie, etwas über das Judentum/den Islam bzw. deren Träger. Vielmehr sagen sie uns etwas über die Vorstellungswelt der Rassisten. Offensichtlich sind unsere politischen Verhältnisse heute andere als damals. Ein Adorno zugewiesenes Zitat hält fest: „Ich habe keine Angst vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten“. Anders gesagt: Züge totalitärer Politik sind auch in manchen Demokratien erkennbar. Als Beispiele seien hier Guantanamo Bay oder Abu Ghraib zu nennen. Und hier gilt es mit den Werten von Demokratie und Menschenrechte deutlich dagegenzuhalten.
Kurz vor Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Wie groß ist das Phänomen Islamophobie im Jahre 2025?
Als ich mich 2006 erstmals mit der Frage der Islamophobie auseinanderzusetzen begann, lag die Vermutung nahe, dass es sich dabei nicht um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Ich sehe derzeit wenige Faktoren, die diese Tendenz ändern würden.
Abschließend, beim wem würden Sie gerne einmal nachhaken?
Da gibt es viele, die zu nennen wären. Aber derzeit würde mich ein Gespräch mit Corey Lewandowski, dem Kampagnen-Manager von Donald Trump, interessieren.