Sie ist die Frau mit den meisten grünen Landesstimmen in der Geschichte Österreichs. Astrid Rössler studierte Rechtswissenschaften und war viele Jahre als Unternehmensberaterin tätig. 2009 steigt sie in die Politik ein und wird umgehend in den Salzburger Landtag gewählt. Nur vier Jahre später erzielen die Grünen unter ihrer Führung sensationelle 20,18% und Rössler wird erste Landeshauptmann-Stellvertreterin. Im Interview spricht sie über Persönliches, Zeltlager für Flüchtlinge und ihre Vision für ein Verkehrskonzept der Zukunft.
Wann haben Sie die Politik für sich entdeckt?
Nachdem ich beruflich schon immer im Umweltschutz tätig war, ist mir früh klar geworden, dass dessen Zukunft von politischen Verhältnissen abhängt. Eine echte Motivation für politische Tätigkeit habe ich aber erst im Zusammenhang mit Anrainerrechten erhalten. Mir wurde klar, dass deren Rechte nicht selbstverständlich sind und so gründete ich einen Verein zu deren Unterstützung. Generell hat mich das Phänomen der gesellschaftspolitischen Konflikte schon sehr lange in meinem Leben begleitet. So kam ich immer mehr mit tagespolitischen Themen in Berührung und kurze Zeit später wurde ich gefragt, ob ich als Grün-Politikerin für den Salzburger Landtag kandidieren möchte. Ich bin eine Spät- und Quereinsteigerin, da ich erst seit sechs Jahren in der Politik bin. Das ist ungewöhnlich, aber mein umfassender beruflicher Hintergrund ermöglicht mir meine Erfolge in der Landtagsarbeit.
Hatten Sie in Ihrer Schulzeit irgendwelche politischen Ambitionen?
(Lacht) Ich war Klassensprecherin und belegte Politische Bildung als Freifach. Dieses Grundinteresse an der Politik, auch wegen meines familiären Hintergrunds, war sicherlich auch damals schon vorhanden.
Gibt es etwas woran neben Ihnen nur sehr wenige Menschen felsenfest glauben?
(Lacht) Das ist eine sehr persönliche Frage. Ich glaube, dass wir Menschen viele Dinge nur sehr beschränkt mit unseren Sinnen wahrnehmen. Es gibt so viel mehr zwischen Erde und All oder wie Goethe einst sagte: „Es gibt unendlich viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen der Mensch keine Ahnung hat.“ Diese Sichtweisen zu thematisieren, hat sehr schnell den Touch des Esoterischen. Ich bedaure das, weil ich überzeugt bin, dass wir uns diesen Dingen mehr widmen sollten. Schon länger beschäftigt mich der Begriff der Schwarmintelligenz. Das ist auch eines meiner Erklärungsmodelle, warum derzeit in den Bundesländern andere politische Verhältnisse möglich sind und grüne Themen derart von Interesse sind.
Wovor haben Sie am meisten Angst im Leben?
Vor der ungerechten Verteilung von Ressourcen und der Ungerechtigkeit bei Menschenrechten etwa. Da gibt es viele Kräfte, die nicht in Richtung Ausgleich drängen, sondern sehr stark von Eigeninteresse getrieben sind.
Sehen Sie da positive Entwicklungen, die dem entgegenwirken?
Es gibt eine sehr starke Gegenströmung, diese findet aber abseits von den tatsächlich spürbaren Entwicklungen statt. In der realen Politik oder auch in der Wirtschaft können sich diese Kräfte leider noch nicht durchsetzen.
Kommen wir zur Landespolitik: Zelte für Flüchtlinge in einem Bundesland, wo die Grünen regieren. Ist das eine Niederlage für grüne Politik?
Es ist leider eine Entscheidung von Innenministerin Mikl-Leitner gewesen und nicht eine des Landes. Der zuständigen Landesrätin Martina Berthold war es nicht möglich, hier entgegenzuwirken. Wir haben uns klar deklariert, dass dies keine richtige Entscheidung war. Daher arbeiten wir daran, diese Zeltlager so schnell wie möglich aufzulösen.
Noch im Jänner hieß es, Salzburg würde die Quote für die Flüchtlingsaufnahme erfüllen. Was ist hier falsch gelaufen?
Es gibt unterschiedliche Berechnungsmethoden, um aufzuweisen, ob und wann die Quote erfüllt ist. Das Problem ist, dass hier zwei Kompetenzen, nämlich Bund und Land, nicht reibungslos zusammenarbeiten. Da gibt es Bundesplätze, die nicht in Anspruch genommen werden oder ohne unser Wissen einfach geschlossen werden. Daraus entsteht dann die Schwierigkeit, eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Wir brauchen angesichts der wachsenden Zahl von Asylanträgen weitere Plätze und wir bemühen uns gemeinsam mit den Gemeinden etwas voranzubringen. Wichtig sind uns dabei gewisse Qualitätsvorstellungen, wie etwa eine entsprechende Betreuung und Verteilung der Schutzsuchenden.
Was läuft hier in Europa falsch?
Europa muss sich auf mehreren Ebenen verantwortlich fühlen – nicht nur für die Unterbringung und Rettung von Flüchtlingen, sondern auch für eine stärkere Involvierung in den politischen Krisengebieten. Hier sehe ich eine Ambivalenz, da Europa wirtschaftspolitisch noch immer sehr stark von diesen Ländern profitiert. Europa kann sich nicht einfach die Rosinen herauspicken. Das betrifft etwa auch die Entsorgung von Abfall in diesen Staaten. Hier befindet sich unser Kontinent in einer sehr privilegierten Situation. Das kann so nicht weitergehen.
Stichwort Verkehrspolitik: Wie sieht Ihre persönliche Vision des Verkehrs der Zukunft aus?
Siedlungsgebiete werden sich in Zukunft so entwickeln, dass sie Verkehrsalternativen und verschiedene Formen der Mobilität ermöglichen. So reduziert sich der Individualverkehr und dementsprechend wächst das Angebot auf Seiten der öffentlichen Verkehrsmittel. Aber auch zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren sollen als ansprechende Alternativen gesehen werden. Das ist alles machbar.
Sind Sie bisher zufrieden mit der 80km/h Regelung auf der A1?
Ich bin sehr zufrieden, da die Einführung mit sehr geringem Widerstand und wenig technischen Problemen gestartet ist. Die Messergebnisse sind tendenziell sehr gut, die Schadstoffrückgänge sind klar ersichtlich. Der erste Jahresbericht wird die Maßnahme rechtfertigen und Hoffnung geben, dass bestimmte Grenzwertüberschreitungen verhindert werden können. Mir ist aber auch wichtig klarzustellen, dass es sich bei Tempo 80 nicht um eine Thematisierung des Feinstaubs geht, sondern um eine Stickstoffdioxid-Überschreitung. Diese Missverständnisse gibt es sicher noch vereinzelt.
Können Sie sich eine weitere Geschwindigkeitssenkung in Teilabschnitten vorstellen?
Das hat in Bezug auf die Schadstoffe keine positive Wirkung, ganz im Gegenteil. Tempo 80 ist aus mehreren Blickwinkeln die optimale Geschwindigkeit, weil es die größten Durchflussmengen bei geringstem Schadstoffausstoß hat. Zudem ist diese auch für den Schwerverkehr optimiert. Worüber wir nachdenken sollten, ist der Umgang mit der Schadstoffbelastung und den Lärmproblemen auf Landstraßen. Einige Orte und Städte planen bereits ganz bewusst Begegnungszonen und verkehrsberuhigte Gebiete. Der Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Verkehrsbelastung ist evident und beeinträchtigt die Siedlungsentwicklung.
Wie stehen Sie zur Errichtung einer U-Bahn in der Stadt Salzburg?
In jedem Fall benötigen wir eine leistungsfähige Stadtquerung. Nach der Trassenprüfung aus dem Verkehrsressort spricht die Machbarkeit eher für eine unterirdische Variante, die ich auf jeden Fall unterstütze. Wenn es nachvollziehbare Gründe gegen eine U-Bahn gibt, könnte ich mit einer oberirdischen Variante gut leben. Die Stadtquerung ist aber dringend notwendig, um leistungsstarken öffentlichen Verkehr zu ermöglichen.
Bleiben wir in der Stadt Salzburg: Die Ablehnung der Bauerweiterung des Einkaufszentrums „Europark“ hat für viel Aufregung gesorgt. Wie bewerten Sie die mediale Berichterstattung?
Die mediale Reaktion stand im krassen Gegensatz zu allen anderen Rückmeldungen, die wir direkt von der Bevölkerung erhalten haben. Die kritischen Stimmen für einen Ausbau waren im Promillebereich. Viele haben uns mitgeteilt, wie verärgert sie wären, dass ihre Leserbriefe nicht veröffentlicht wurden. Ich halte den Baustopp für eine sehr wichtige und mutige Entscheidung, weil sie nicht ganz einfach war. Viele vergessen auch, dass es sich hier um kein Einzelprojekt handelt, sondern um eine landesweite Entscheidung mit zahlreichen Projekten. Warum sich das ganze Thema medial nur an einem Projekt aufhängt, bleibt mir unerklärlich. Journalistisch gesehen war das sehr einseitig.
Der Medien-Watchblog „kobuk“ hat eine umfangreiche Analyse der Berichterstattung in der Kronen Zeitung veröffentlicht. Wie zufrieden waren Sie mit den anderen Medien?
In einer etwas anderen Form fand ich auch die Berichterstattung in den Salzburger Nachrichten, im ORF und im Standard nicht stringent und umfassend. Diese Berichte waren ebenfalls einseitig und in mehreren Kolumnen stark polarisierend. Hier wäre eine unabhängige Analyse ebenfalls interessant.
Ein Blick in die Zukunft: Welche Herausforderungen stehen dem Land Salzburg in den kommenden Jahren bevor?
Die Finanzen müssen konsolidiert werden, um die wichtigen Veränderungen für das Land zu ermöglichen. Salzburg hat etwa Nachholbedarf im Ausbau der Kinderbetreuung und bei bestimmten sozialen Leistungen. Das ist derzeit nicht in der Geschwindigkeit möglich, die wir uns wünschen würden. Im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltschutz ist ein kräftiger Schub erforderlich, das hängt sehr stark mit Raumordnung und Mobilität zusammen. Wir Grünen müssen stärker ressortübergreifend arbeiten und diese Herausforderungen in Angriff nehmen.
Und für die grüne Landespartei?
Mitgliederzuwachs und das Potential, das wir jetzt ausgeschöpft haben, zu halten und unsere Themen gut und für die Menschen zufriedenstellend umzusetzen.
Wird es jemals eine Salzburger Landeshauptfrau Rössler geben?
(Lacht) Das werden wir die Wählerinnen und Wähler in einigen Jahren fragen. Aus heutiger Sicht werde ich bei der nächsten Wahl erneut antreten und ein hoffentlich gutes Ergebnis sowie eine erneute Regierungsbeteiligung erlangen.
Abschließend, bei wem würden Sie gerne einmal nachhaken?
Muhammad Yunus. Das Thema Kleinkredite fasziniert mich. Auch wenn ich unterschiedliche Meinungen gehört habe, wie gut das System funktioniert. Es ist aber ein anderer Wirtschaftsansatz bzw. eine Hilfestellung, um schwachen Systemen auf die Beine zu helfen.
Vielen Dank für das Gespräch!